198 ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG

auch in diesem Punkte der Unterschied zwischen Österreich und Deutschland neuerlich und verschärft zutage. In Deutschland zeitigte die Weimarer Republik keine Weimarer Literatur, wohl aber eine Berliner , in der die Zwanzigjährigen tonangebend waren. Diese bitter enttäuschten, aus allen Bindungen gerissenen geschlagenen Frontkämpfer stießen dichterisch entweder ins nationale Horn oder sie setzten die Welt der Väter, die in ihren Augen die Verantwortung für den verlorenen Krieg trug, in Anklagezustand und fällten Todesurteile, deren klassische For­mulierung der junge Werfel in dem Romantitel verdichtete: ,, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig." Diese ganze Literatur war ein einziger Vaterkomplex, bei dem die Väter nichts zu lachen hatten. ,, Was tut ein junger Dichter, wenn er sein erstes Buch schreibt?" sagte Schnitzler: Er mordet seinen Vater!" Man sieht, wie sich in solch einer Bemerkung bereits der Wiener Skeptizismus und Humor zum Wort melden, die miteinander gemein haben, daß sie die Dinge lieber von weiter weg und von weiter oben betrachten. Dies tat vor allem Hof­mannsthal, der in seinem, Salzburger Großen Welttheater" die so zeitgemäße Figur des Bettlers, in den Königsmantel seiner Verskunst gehüllt, anklagend auf die Bühne stellte. Moissi spielte ihn unvergeßlich, in der Anklage wie in der Bekehrung, die keine Bekehrung zur verbrauchten bürgerlichen, sondern zu einer noch unverbrauchten, weil unverbrauchbaren höheren Welt war. Wassermann schlug in seinem, Christian Wahn­schaffe" Dostojewskijsche Töne an und schuf dem ins kom­munistische Lager übergehenden Sohn aus allzu reichem Hause ein tausendfach verwendbares Modell, das in vielen Fällen auch der Wirklichkeit des Lebens zum Vorbild diente, höchster Triumph und letzte Beglaubigung, die einem Dichtwerk zuteil werden können. Schnitzler und Beer- Hofmann , persönlich ebenso nah befreundet wie in ihrer dichterischen Richtung auseinander­strebend, blieben ihrer bürgerlichen und biblischen Welt treu.