BESUCH IM DEUTSCHEN HAUPTQUARTIER

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schon sattsam abgespieltes Jugendlustspiel Die große Leiden­schaft". Das wäre ganz nett gewesen, hätte sich mein munterer Dialog von dem immer mitsummenden Kanonendonner der nahen Front nicht so peinlich abgehoben. Besonders die beiden Schauspielerinnen schienen die Mahnung nicht überhören zu können, die männlichen Rollenträger waren augenscheinlich eingerückte Berufsschauspieler, die für gewöhnlich im Schützen­graben lagen und den Lustspielabend in Lille als nicht un­erwünschten Urlaub genossen; vielleicht hat er an jenem Abend dem einen oder anderen das Leben gerettet, woran ich freilich nicht dachte, als ich das leichte Stück zu Papier brachte.

Nach der Vorstellung war Empfang beim Gouverneur, einem sechs Schuh hohen preußischen Generalleutnant vom elegante­sten linearen Typus. Hier begegnete ich auch meinen zwei schönen Schauspielerinnen wieder, die auch hier wieder die ein­zigen Damen waren und dementsprechend umschwärmt von Offizieren aller Chargengrade. Die Schauspieler waren auch zu­gegen, in Uniform nun wieder, so daß ich sie gar nicht erkannte. Wie, wenn derjenige unter ihnen, dem ich das Leben gerettet hatte, sich in eine der beiden Schönen fürs Leben verliebt hätte? Ein Lustspiel im Lustspiel, aber auch hier wieder ein Lustspiel im Trauerrand. Denn der Gouverneur, so wurde mir zuge­flüstert, hatte zwei Söhne an den Krieg verloren, die kurz vor­her gefallen waren. Seine Haltung, den ganzen Abend lang, war bewundernswert.

Am nächsten Tag wurden wir schon wieder verschoben, die Front entlang, deren leises Grollen sich nachts mit dem Rattern der Räder vermischte. Wir wurden um fünf Uhr früh aus­waggoniert und von einem blutjungen Leutnant ins Quartier begleitet. Der ältere Major, der uns als eine Art Bärenführer beigegeben war und die ganze Reise mitmachte, ließ sich wäh­rend der Fahrt von dem jungen Mann berichten, der, morgen­frisch und sichtlich vergnügt, über die Ereignisse in seinem

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