DER NOVELLIST MELDET SICH ZUM WORT
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Seit zwei Stunden saßen sie unweit der noch verschlossenen Tür des Amtsraumes im Schatten eines hundertjährigen Maulbeerbaumes, des einzigen noch überlebenden einer ganzen Allee, die Napoleon gepflanzt hatte. Es war just hundert Jahre her gewesen, als der Krieg ausbrach; jetzt reiften die Maulbeeren schon zum dritten Male und der Krieg nahm kein Ende... Wann würde er enden?
Die beiden blickten lange schweigend auf das in der Mittagsschwüle weißblau nebelnde Tyrrhenische Meer hinunter. Dann begannen sie plötzlich von Wien zu reden, ihrer fernen Vaterstadt. Sie gingen den Spuren ihrer Abstammung nach, wobei sich herausstellte, daß sie beide nicht nur im Umkreis des Stephansdoms geboren waren, sondern sogar im selben Bezirk, nämlich dem achtzehnten. Wild war ein Weinhauser, Schuberth ein Pötzleinsdorfer, eine schöne Lindenallee verband ihre Kindheit.
,, Hast du auch am Sommerheideweg Drachen steigen lassen?" fragte der Lehrer, dem Meer den Rücken kehrend.
,, Freilich", antwortete der Kaffeesieder behaglich:„ Und im Dornbacher Park hab' ich mich verlobt."
,, Nein, wirklich? Ich auch! Auf dem Wege zum Hameau." ,, Bei mir war's auf dem Rückweg. Es war schon Nacht. Der Mond hat geschienen." Auf einmal sprach er hochdeutsch.
Sie waren beide verheiratete Männer und gedachten mit kummervoller Sehnsucht der verlassenen Frau; besonders Schuberth, der auch alle Ursache hatte.
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,, Es hat mit mir so eine Bewandtnis" sagte er und schielte nach dem unweit von ihnen im Grase schlummernden italienischen Unteroffizier auch er ein schon etwas älterer Herr und Familienvater. Da er ihn deutlich schnarchen hörte, brauchte er mit dem, was er zu bekennen wünschte, nicht hinterm Berg zu halten, und ,, ich bin nämlich tot", verlautbarte er, eine abgefallene Maulbeere in den Mund steckend.


