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ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG
kaum etwas zu wünschen übrig ließen. Rußland war so gut wie erledigt, Frankreich saß die deutsche Faust an der Kehle, Italien sah sich von den österreichischen Armeen mehr als hinlänglich in Schach gehalten, Amerika war in den Krieg noch nicht eingetreten. England hatte zum letzten Streich noch nicht ausgeholt, aber die Blockade machte sich in zunehmendem Maße fühlbar. Die Fleischration wurde von Monat zu Monat fragwürdiger, es gab kein Weißgebäck mehr, kaum mehr Milch für diejenigen, die über sechs Jahre alt waren, und weder Kaffee noch Tee, von Butter und Speck nicht zu reden. Gas und elektrisches Licht waren bis zum äußersten rationiert, wir badeten einmal in der Woche und saßen abends um eine übelduftende Karbidlampe herum, in unsere Überkleider gehüllt, da es an Heizmaterial fehlte. Um uns dafür zu entschädigen, berichteten die Zeitungen von ,, Kohlennot in Frankreich ", was erfrischend wirkte. Das Brot war so knapp, daß jeder Gast, auch in den öffentlichen Speisehäusern, sein in Papier gewickeltes Stückchen Brot selbst mitbringen mußte. Übrigens war es ein scheußliches Maisbrot, terrakottagelb und widerwärtig. In Ungarn war es etwas besser und von dort ging uns von den ungarischen Verwandten meiner Frau hin und wieder ein herrliches Stück Weizenbrot zu. Aber sei es, daß die Absendung Schwierigkeiten machte oder daß die Zollbehörden es nur widerwillig aus dem Lande ließen, wenn wir es anschnitten, fanden wir es innen ganz von Schim mel durchzogen. Wir aßen es trotzdem.
Im zweiten Kriegsjahr hatte ich eine Aufführung am Dresdner Hoftheater und ich glaube, es war bei dieser Gelegenheit, daß ich, zum erstenmal seit Kriegsausbruch, auch wieder nach Berlin kam. Ich wurde sofort in einem Kränzchen scharfer Damen, in dem ich mich mehr vorgeladen als eingeladen fühlte, einer Art Gesinnungsprüfung unterzogen, die mit der Frage anhob, wie ich Berlin fände. ,, Ernst", antwortete ich. ,, Und dies nicht nur im Sinne von Gefaßtheit, sondern auch von Bedrücktheit." Aber


