GEWITTER ÜBER OSTERREICH 14$

worden, und sein Aufmarschplan krankte an einer ursprüng- lich falschen Berechnung. Er war vorzugsweise gegen das kleine Serbien gerichtet gewesen, weil niemand in Österreich mit einem so raschen Eingreifen des großen Rußland gerechnet hatte. Daran war wieder einmal unsere vollkommen volks- fremde Auslandsvertretung schuld, die, am Zarenhofe, wie überall, nur auf gesellschaftliche Prestigefragen und ihren mit Nadelstichen geführten kleinen Notenkrieg bedacht, die Tat- sachen übersah oder nicht sehen wollte. Denn der mittelalter- liche Hochmut dieser Kaste bestand nicht so sehr in einem Übersehen als in dem viel tödlicheren aber auch selbst- mörderischen Nichtzurkenntnisnehmen. So wurde der Ein- fluß des republikanischen Frankreich auf das autokratische Ruß- land nicht in Rechnung gestellt, weil Madame Poincar& keine Geborene war, und eine Frau, die nicht einmal geboren war, doch unmöglich politischen Einfluß haben konnte. Daß die schöne Frau ihn gerade darum besaß, weil sie, obwohl keine Geborene, am Zarenhofe wie eine Königin gefeiert wurde, übersah der österreichische Würdenträger, weil seine Frau eine Geborene war. Wir alle sind von unseren Frauen abhängig, warum sollten es gerade die Diplomaten nicht sein? Aber auch die Bedeutung der slawischen Blutsbrüderschaft entging ihm, weil in der Wiener Operettenwelt, in der er aufgewachsen war, der Slawe, als Hausmeister wie auch als Prinz, eine komische Figur abgab. Infolgedessen glaubte Berchtold, einseitig informiert, wie er hatte und war, mit Serbien fertig zu werden, bevor Ruß- land militärisch an seine Seite würde treten können. Als dann der russische Bär sich an diese vom Ballhausplatz vorgesehene kavaliermäßige Jagdeinteilung nicht hielt und vorzeitig seine Pranken wies, mußten die an die serbische Grenze geworfenen Armeekorps halbwegs umkehren und nach Galizien verfrachtet werden. Alle Geschwindigkeitsberechnungen des großen Tak- tikers Conrad, der Belgrad am dritten Tag überrennen wollte,

10 Verlorene Zeit