100 ERLEBTES OSTERREICH

Aufführung einer Mahler-Symphonie bei, um beim Hinaus- gehen zu sagen:Es ist doch merkwürdig, wie in den Neunten Symphonien der großen Meister der Tod bereits die Fiedel führt. Es ist als ob sie gewußt hätten, daß es ihr letztes Werk sein werde.Aber was wir gehört haben, war ja die Fünfte, nicht die Neunte Mahler, wandte der Freund bescheiden sach- lich ein.Das ist mir Wurst, erwiderte Wassermannbetreten (ein anderes seiner Lieblingsworte). Einmal auf einem herbst- lichen Spaziergang im Wienerwald stapfte er vor mir her, kurz, stiernackig, in einen flausartigen dunkeln Mantel gehüllt mit breitrandigem Kalabreser.Von rückwärts sehen Sie aus wie Beethoven ! rief ich ihm zu. Er wandte sich geschmeichelt um, zurücklächelnd, wobei ich mir nicht versagen konnte, den Vergleich mit den Worten zu begrenzen:Aber umdrehen dürfen Sie sich nicht!

Wassermann, um ein Jahrhundert zu spät geboren, starb um ein Jahrzehnt zu früh. Fr starb am 1. Jänner 1934 am Rande des, wie er in einer letzten Widmung sagte,schwärzesten Jahres seines Lebens und hat die Richtigstellung des Welt- unsinns nicht mehr erleben dürfen. Aber wieviel ist ihm in diesem Jahrzehnt erspart geblieben. Der Verfasser vonMein Weg als Deutscher und Jude wie rührend, daß er noch in dieser Lebensbeichte den Deutschen dem Juden voranstellt hätte es überall schwer gehabt in diesen zehn Jahren. Er war nicht exportfähig, und auch das Ausland hätte kaum zu unter- scheiden vermocht zwischen dem zufälligen und dem intelli- giblen Emigranten Wassermann. Man darf schließlich von einem Ausländer, der mit den Abgründen der deutschen Philosophie nicht vertraut ist, nicht zuviel erwarten.

Beer-Hofmann , der weder wie Schnitzler an eine gottlose

Materie noch wie Hofmannsthal an eine gottgewollte Rang- ordnung, sondern mit Kant und der Bibel an denge- stirnten Himmel über mir und das Sittengesetz in mir glaubte,