AUF ALTEN WEGEN INS NEUE JAHRHUNDERT

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Ministerium gefallen sollte, sich über den Mangel seiner nicht rassereinen Abstammung hochherzig hinwegzusetzen. Möglicher­weise hatte er, von solchen Erwägungen irregeleitet, sich in eine Ehe eingelassen, über die er hinterher, nach einer Abwesenheit von kaum zwei Wochen, in seiner Klasse erröten mußte. Alt­philologe wie er war und zu Höherem berufen

wenn auch

nicht ernannt, war er abgeglitten und hatte, versagend und entsagend, das lateinische Übungsbuch für die dritte Klasse wieder zur Hand nehmen müssen, in dem er, der Niedrigkeit entfremdet, die betreffende Stelle nicht gleich fand. Immerhin, er hatte als Privatdozent ein Semester lang zu erwachsenen Hörern der Universität über die Urtexte des Menander sprechen dürfen und etwas von dieser großen Vergangenheit war an ihm hängen geblieben, wie sich bei Gelegenheit zeigte. Einmal, als unsere Klasse besonders unruhig war, während er uns den Cor­ nelius Nepos näherzubringen vergeblich bemüht war, fand er sich veranlaßt, uns mit der übel angebrachten Zurechtweisungs­formel ,, Ruhe, meine Herren!" anzubrüllen. Doch sah er seinen Irrtum schnell ein und, sein Stentorstimmchen bescheiden herabschraubend, setzte er ,, oder seid ihr Buben?" sich selbst verlachend hinzu. Darüber freuten sich die so Angesprochenen mit lautem Getrampel, und es dauerte eine ganze Weile, bevor der aus höheren Sphären zu uns Herabgestiegene des gleichfalls ins Schwanken geratenen Cornelius Nepos in seiner Hand wieder Herr wurde.

Diesem liebenswürdigen Gelehrten verdanke ich ein Ge­schichtchen, das mich durchs Leben begleitet hat. Er erzählte es uns gleich nach der Aufnahmsprüfung, als er die Klasse über­nahm und in der offenkundigen Absicht, uns zu dem vor uns liegenden hohen Weg anzuleiten. ,, Ein Schiff mit gemischter Reisegesellschaft", hob er errötend an ,,, scheitert mitten im Welt­meer an einer wüsten Insel. Das Schiff geht unter, die Fahr­gäste retten sich durch Schwimmen. Aber das Eiland ist un­

4 Verlorene Zeit