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48 ERLEBTES OSTERREICH

Einmal hatte ich ihm eine Verbesserung einer schriftlichen Übung vorzulegen und er fand zu seiner majestätischen und meiner peinlichen Überraschung ein Liebesgedicht in dem von mir aufgeblätterten Heft. Er nahm es mit zwei Fingern auf, las es und sagte dann, wie vom Olymp zu mir herunterblickend: Also darauf kann ich Ihnen mein Wort geben, mein lieber Auernheimer, aus Ihnen wird nie etwas werden. Ich kann nicht finden, daß er mit dieser absprechenden Diagnose so völlig unrecht hatte, und auch den Grund meines Versagens hatte er richtig erkannt, noch bevor ich selbst darum wußte, Er wird wohl mit meiner ursprünglichen Geneigtheit, mit der Liebe zu tändeln, anstatt Verbesserungen meiner schriftlichen Arbeiten durchzuführen, tiefer als mir lieb sein kann, zusammenhängen.

An meinen Lateinprofessor hingegen den ersten, denn später kam ein anderer denk ich noch immer mit dankbarer Rührung. Er war ein kleiner, gar nicht heldenhaft zugeschnit- tener Mann, mit einem schüchtern rötlichen Spitzbärtchen, röt- lichem Haupthaar, geröteten Augen und auch sonst zum Er- röten geneigt. Am peinlichsten fiel uns das auf, als er nach einem kurzen Urlaub mitten im Schuljahr, von seiner Hochzeits - reise zurückgekehrt, zum erstenmal wieder vor die Klasse trat und eine Stelle im lateinischen Übungsbuche suchte, die er nicht gleich fand wobei er rot wurde. Bald darauf erfuhren wir Rangen, daß seine junge Ehe geschieden worden wäre, was ihn natürlich veranlaßte, abermals rot zu werden, als er aufs Podium unserer Klasse trat, ja sogar noch röter.

Der kleine Mann war Altphilologe und eine Kapazität augen- scheinlich, denn er war bereits Privatdozent. Das war etwas mehr als Gymnasialprofessor, da es ihm die unbestimmte Aus- sicht auf eine akademische Laufbahn eröffnete, zugleich aber auch etwas weniger, da der Privatdozent unbesoldet war und sich nur von der Hoffnung nährte, vielleicht doch noch einmal Hochschulprofessor zu werden, wenn es den Herren im hohen