deutsche Brüder und Schwestern aus allen Konfessionen, Parteien und Ständen laute Zeugen mit den Zinsen ihrer Arbeit, ihrer Leiden und ihres Blutes! Aber jene stehen vor dem göttlichen Urteil: ,, Nehmet von ihm den Zentner..."! Das, meine Freunde, ist die Schuld der Edlen und Besten unter unseren Bauern und Arbeitern, Bürgern und Akademikern und Offizieren und mit großer Trauer und Scham denke ich hier an manchen General und Beamten, Professor( woher kommt eigentlich dies Wort?), Dichter und Pfarrer! daß sie durchdrungen vom schleichenden Gift des Positivismus und Materialismus und von der alten Lüge, der Gedanke sei Tat und Leben, den Blick zu den Sternen vertauschten mit dem Blick auf die Orden und Güter und Ehren, die eine jämmerliche Welt zu vergeben hat; und also auf einer Straße wanderten mit den Schwachen und Armen und Gesunkenen, die mehr warteten, als wir ahnen, auf einen Winkelried, der ihnen die Gasse brach. Aber unsere Besserwissenden waren noch Kinder jener Zeit der Rhetorik, der Untätigkeit und Furchtsamkeit, über die Sie noch ein­mal ein deutsches Urteil vor 100 Jahren anhören mögen:

,, Diese träge und furchtsame Welt, welche die eigene Haut preiszugeben, die ganze Persönlichkeit mit Leib und Leben in die Schanze zu schlagen sich scheut, fühlt sich dennoch im Geheimen völlig unbefriedigt- die Worte, die Begriffe, die Phrasen genügen nicht, das fühlt man wohl, aber man kann nicht weiter, man will nicht weiter: nicht allein der Fluch der Ohnmacht, auch der Fluch der Entschlußlosigkeit und Willenlosigkeit ist über die Welt ge­kommen. Man fühlt den Trieb, den Reiz, den freilich ohnmächtigen Kitzel nach Taten, die mehr wären als Worte, wenn ein Quell zur Tat vorhanden wäre, und wenn die Tat nicht die eigene liebwerte Persönlichkeit, den teuren Leib mit seiner Pflege, das liebe Leben, mit dem ja alles aus ist, kosten könnte. Daher die Unfähigkeit, entschiedene Charaktere zu achten und sich ihnen anzuschließen. Daher der auffallende Widerwille gegen alle nur einigermaßen ent­schieden auftretende Persönlichkeiten, der Haß gegen scharf ge­schnittene, kräftige, großartige Charaktere. Daher möchte man bei­nahe sagen, die Unfähigkeit unserer Zeit, große Persönlichkeiten, Charaktere im erhabensten Stil zu erzeugen. Alle Welt ruft nach einer großen rettenden Persönlichkeit aber dieselbe Welt will nicht einmal die Persönlichkeiten und Charaktere zweiten und dritten Ranges anerkennen."( A. F. C. Vilmar, Von der Überschätzung der Wissenschaft, 1849.)

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So, meine Freunde, wurde das deutsche Antlitz von heute, in dem wir alle enthalten sind und an dem wir alle mitgearbeitet haben. Die einen als die Unwissenden, die anderen als die Schwei­genden. Die einen als die Toten, die anderen als die Sterbenden. Die einen als die Reichen, die anderen als die Armen. Damit aber

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