Dieser Vorgang wurde mir einige Tage später von einem alten Parteifreund bestätigt, der schon 10 Jahre die Segnungen des 3. Reiches in Dachau zu verspüren bekam. Die Menschen waren wie die Heringe zusammengepreßt, ohne Nahrung, elend an Hunger und Durst zu Grunde gegangen.

Eines Tages hieß es Aufstellen zum Arzt". Die Ärzte waren ebenfalls Häftlinge, meist Franzosen und Belgier. Wir marschierten, oder richtiger, stolperten in unseren Holzklinken durch das weit ausgedehnte Lager. Überall sahen wir große Trupps junger Leute in den bekannten blau- weiß- gestreiften Sträflingskleidern, die von der Arbeit kamen, abgehetzt und müde, aber sie mußten singen. Dachau war ja ein Musterlager. Auf dem Wege kamen wir auch an einer Baracke vorbei, die uns der führende Kapo als Lager- Bordell bezeichnete. Als Geburtstagsgeschenk des Führers" wurde es im April 1944 eingerichtet. An der Arztbaracke angekommen, mußten wir uns nackt ausziehen, unsere Habseligkeiten auf den Boden legen und im Gänsemarsch ging es in die Baracke zum Arzt. Wir wurden lediglich gewogen und die Zähne untersucht. Während wir unseren Gänsemarsch ausführten, wurde eine Bordellinsaẞin, von 2 SS- Männern eskortiert an uns nackten Männern vorbei, eben­falls zum Zahnarzt geführt. Wir wußten nun, daß auch diese Frauen die in Dachau praktische Nazikultur verwirklichten, genau wie wir als Gefangene behandelt wurden.

Bis dahin hatten wir im Hofe keinerlei Sitzgelegenheit gehabt, wir konnten uns nur auf den meist verdreckten Feldboden setzen. Plötzlich wurden wir mit einer Anzahl neuer Schemel beglückt; ein Umstand, der von uns allen sehr begrüßt wurde. Abwechselnd konnten wir doch auch sitzen. Kam aber ein SS.- Angehöriger, er­scholl der Ruf ,, Achtung", alles stand auf, nahm die Kopfbedeckung ab und stramme, militärische Haltung an. Einmal kam ein SS­Unterscharführer in unseren Hof. Ich erblickte ihn schon am Ein­gang, sprang auf und nahm stramme Haltung an. Gleichzeitig hatte ich sofort den Eindruck, daß dieser Mensch über unsere nun vor­handene, primitive Sitzgelegenheit erbost war. In leicht gebückter Haltung, den Kopf weit vorgeschoben, einer hungrigen Bestie gleich, die Augen bald nach rechts, dann wieder nach links gerichtet, ging er durch die Reihen der alten, stramm stehenden Männer.

Jeden Moment, so befürchtete ich, wird er jemanden anfallen und wirklich geschah das Unglaubliche. Bei seinem Rückweg schlug er meinem Nebenmann, einem Salzburger Kaffeehausbe­sitzer, namens Bauer mit der Faust ins Gesicht. Hätte der Mann. in dieser Situation die Nerven verloren, und sich an diesem Sa­disten vergriffen, er wäre wahrscheinlich noch am gleichen Tage

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