Schacht in der Mitte, darüber stand zu lesen: Kein Trinkwasser, Typhusverdächtig! Dem Schacht entströmten aus 12 Düsen je ein Wasserstrahl in der Stärke einer Stricknadel. Auf dem Wege zum Waschraum und um das Becken selber entstand jeden Morgen die gleiche beängstigende Drängerei der 186 Menschen, die sich waschen wollten und waschen sollten. Die Vordersten konnten an das Wasser heran, wurden von anderen gedrängt und gestoßen und bahnten sich mit Mühe einen Weg zurück. Andere bemühten sich, über die Schulter der Vorderen und waren froh, um einige Tropfen Wasser, mit denen sie sich die Augen auswischten. Wieder andere waren des Kampfes um das Waschwasser bereits müde und gingen ungewaschen zum Appell. Diese Appelle wurden bei jeder Witterung im Hofe abgehalten und dienten ausschließlich der Zählung der Häftlinge. Von 5 Uhr ab standen wir so barfuß, in unseren Lumpen, regelmäßig stundenlang und warteten, bis dann jeweils ein SS- Uffz. oder Scharführer kam, dem dann unter„ Stillgestanden" durch den sog. Blockältesten gemeldet wurde, so und soviele Häftlinge angetreten.
Bei den nebligen, kalten, oft auch regnerischen Septembermorgen und dem langen Stehen, barfuß und in dürftigster Bekleidung, erkälteten sich rasch viele dieser alten Leute und alle wurden wir von starkem Husten befallen. Wohl mit veranlaßt durch diesen Umstand und die einsetzenden Krankmeldungen, bekamen wir nach etwa einer Woche nun auch Holzpantoffel und als Kopfbekleidung auch eine alte Militär- oder Zivilmütze, sogar einige Hüte und Sowjethelme tauchten auf.
Unser Gesamtanzug war nun noch malerischer und eindrucksvoller geworden. Auf dem Wege, den ich mit anderen Häftlingen unter Führung eines mitgefangenen Engländers in das Lagerinnere machte, um diese ,, Kostbarkeiten" in Empfang zu nehmen, bekam ich auch erstmalig die schriftliche Fixierung, der uns zuteil gewordenen Nazikultur zu Gesicht. In 2 m hohen Buchstaben war auf dem Dache eines Lagergebäudes zu lesen: Es gibt einen Weg, der in die Freiheit führt! Er heißt: Ehre- Treue ArbeitAnständigkeit! Ich mußte mich an den Kopf fassen und fragte mich, angesichts eines Systems nur aufgebaut auf Schikane und geeignet dem Menschen jede menschliche Würde zu nehmen; eines Systems, das täglich und immer aufs neue Menschen grundlos ihrer Freiheit beraubt, sie diffamiert, quält, verkommen und verhungern läßt; eines Systems, das in seiner Scheußlichkeit vor keinem Morde zurückschreckte und dessen Henkersknechte täglich, und immer aufs Neue bereit stehen, in die Hekatomben ihrer wehrlosen Opfer immer weitere einzureihen; eines Systems,
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