' Also auch Herr Heinz wußte keinen Rat.
Heute kann ich erst ermessen, wie berechtigt. Seligs Warnungen waren, in Gefahr Du ge welch furchtbarer
schwebt hast.
Lichtenburg
Der erste Besuch dort. Ein Ermunterungs- Grog im Café zur Mühle des kleinen Städtchens Prettin bei Torgau . Dann der Gang zum Lager durch hohen Schnee. 20 Minuten Sprechzeit. Erlaubt war nur die Erörterung persönlicher Dinge. Nichts über Deine Haft, über meine und Deiner Freunde Versuche, Dich herauszubringen. Sobald darüber ein Wort fiel, schaltete sich der Wachmann ein und drohte mit vorzeitigem Abbruch der Sprechzeit. Wie gern würde ich Dir erzählt haben, daß sich Dein getreuer Freund Kudrnofsky sogar mit weitreichenden Plänen zu Deiner gewaltsamen Befreiung mit Hilfe ausländischer
Freunde, vor allem Edo Fimmens, des Leiters der Internationalen Transportarbeiter- Föderation, trug. Oft saß ich da, von Angst gepackt, ich hätte Dir nichts mehr zu sagen, ein Schweigen würde entstehen, das ebenso verhängnisvoll sein würde wie verbotene Gespräche. Manchmal entstand eine solche Leere in meinem Gehirn. Hätte ich jene 20 Minuten schweigend bei Dir sitzen dürfen, so wäre das beredter gewesen als Worte, aber dieses erzwungene Ausfüllen der Zeit, diese Begrenzung auf Familiäres! Wohl hatten wir einiges Geschick, andere Dinge so zu verbrämen, aber manchmal ließen sich Verstand und Gefühl eine solche Vergewaltigung nicht gefallen und eine wahre Panik bemächtigte sich meiner, die Angst: nun weiß ich nichts mehr..
Ich gewöhnte mich daran, Dich vor blutjungen Burschen stramm stehen zu sehen, zu wissen, daß sie Dich auschnauzen, Dir ins Wort fallen konnten. Ich weigerte mich, dies bewußt zu erleben, dann schaltete ich mein Denken aus.
Die Lichtenburg habe ich zu allen Jahreszeiten kennen gelernt. Im Sommer wie im Winter saẞ
ich in der Zeit bis zum Abgang des Zuges im Café am Bahnhof. Im Sommer tanzte dort im Garten die SS, und auch ich wurde eines Tages von einem dieser Garde aufgefordert. Die Vorstellung, mit dem Blick auf die Lichtenburg mit dem SS- Mann zu tanzen, dieẞ mich erschaudern. Der Mann' wußte doch, was ich an dem Ort gewollt hatte, nirgend woanders brachten die Besucher die Wartezeit zu.
Ich stand einmal im strömenden Regen eine Stunde vor dem großen, Tor, während die SS an der Schwelle der Wachstube feixte. Bebend vor Kälte und Nässe durfte ich schließlich hinein. Ich war völlig verstört, als mich ein bayrischer SS- Mann in mir unverständlichem Dialekt anredete. Ich glaubte mich angeschnauzt und fühlte mich miserabel. Da brachte er mir einen Stuhl an den Ofen, heizte gut ein und war ganz Mensch.
Einmal war eine Frau im Lokal, die einen Verwandten besuchen wollte. Ihr junger Begleiter hatte die hohe Stimme und das ganze Gebaren derer, die man 175er nannte. Auf der Rückfahrt bestätigte mir die Frau, daß es ihrem Verwandten sehr schlecht ginge. Sie hätten alle eine Binde um das Knie, mit einem Buchstaben gekennzeichnet.
Eines Tages kam zu mir der frühere SPD - Abgeordnete Franz Künstler und einige Male besuchte ich auch ihn und seine Frau. Er war durch die Hindenburg- Amnestie im August 1934 entlassen worden und überbrachte mir Deine Grüße. Künstlers Gesundheit war durch die Haft schwer beeinträchtigt worden, seine Nerven gaben nach. Aber geistig war er durchaus lebendig und an allem interessiert. ,, Wir haben vieles falseh gemacht", bekannte er freimütig.. ,, Ich habe das alles immer wieder mit Fritz besprochen. Aber aus den Fehlern muß man lernen."
Auch der ehemalige Oberpräsident von Schlesien , Hermann Lüdemann besuchte mich mehrmals nach seiner Freilassung. So bekam ich von Dir und Deinem Lagerleben ein lebendigeres Bild.
Das Jahr 1934 ging zu Ende, bald würde das dritte Jahr Deiner Haft beginnen.
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