OSR 2133
Lieber Mann!
Eines Tages drücktest Du mir ein Manuskript in die Hand, und dann habe ich Deine Erlebnisse in den Konzentrationslagern gelesen. Manches war mir bekannt, vieles dagegen neu. Habe ich es doch in den fast sieben Jahren nach Deiner Freilassung bis zum Zusammenbruch nie über mich gebracht, Dich zu fragen nach dem, was Dir begegnet war. Nie war ich die Furcht los geworden, sie könnten Dich wieder holen. Dachte ich darüber nach, so legte es sich wie ein eiserner Reifen um mein Herz. Wieder fühlte ich dann die Last und Schwere jener furchtbaren Jahre der Sorge um Dich. Du hast von Dir aus nicht darüber gesprochen. Nun hast Du alles niedergeschrieben. Der Bann ist gelöst. Ich weiß, daß Du erst jetzt ein freier Mensch geworden bjst. Immer hatte ich das Gefühl, daß hinter Dir ein SS- Mann stünde, stets wach und bereit, bei kleinster Unvorsichtigkeit die Hand auf Deine Schulter zu legen. Einige Vorladungen zur Gestapo in der ersten Zeit nach. Deiner Entlassung versetzten mich in zitternde Furcht. Als Du in selbständiger Stellung später für menschliche Behandlung der Fremdarbeiter unerschrocken eintratst und einen Drohbrief Deines Chefs einstecken mußtest, sah ich Dich wieder jenen Schurken ausgeliefert, die Dir versichert hatten, daß Du ein zweites Mal ,, nicht lebendig das Lager verlassen" würdest. Wir wurden von einigen weiblichen Mitgliedern der Familie, bei der wir auf dem Lande wohnten, mehrmals mit Anzeige bedroht. Sie lauerten vor unserer Tür mit gespitzten Ohren, um festzustellen, ob wir ausländische
Machtübernahme
Du hast geschrieben, wie sie Dich am 6. März 1933 abgeholt haben, angeblich, um bei Dir privat Haussuchung zu halten. Zwei Männer kamen ins Büro. Sie rissen Plakate herunter und sprachen mit Dir. Du setztest Deinen Hut auf. ,, Wohin?" Mein Herz. klopfte rasend; denn von allen Seiten warst Du gewarnt worden. Du machtest eine beruhigende Handbewegung: ,, Ich bin gleich wieder hier."
Nach 5% Jahren kamst Du zurück!-
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Wir Angestellten pflegten uns in einem kleinen Café in Berlin zu treffen. Mitte März 1933 ging ich mit einer Kollegin über die Bülowstraße und sah die Fenster des Büros geöffnet. Da sie bei der polizeilichen Versiegelung geschlossen waren, stimmte etwas nicht. Wir gingen nach oben und fanden das Siegel unverletzt. Wir sahen durch den Briefkastenschlitz und trauten unseren Augen nicht. Alle Türen zum Korridor weit offen. Möbel standen kreuz und quer, wir sahen Holztrümmer, abgerissene Tapeten und Vorhänge eine unglaubliche Verwüstung.
Dann kam die Hausmeisterin und erklärte weinend, daß 20 SA- Leute in der Nacht durch die Nebenwohnung eingebrochen wären und stundenlang in unserem Büro getobt und' alles zerkleinert hätten. Bücherpakete seien vom 4. Stock in den Hof geflogen und Schreibmaschinen, Telefone usw zur SA- Unterkunft geschleppt worden. Ich fuhr daraufhin mit unserem Buchhalter zum Polizei- Präsidium, wo jemand, der sich Kommissar nannte diese schossen ' wie Pilze aus dem Boden auf unsere Angaben eisig
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Sender hörten( was wir mehrere Male am Tage taten) reagierte und uns anschuldigte, selbst eingebrochen
und hätten Dich dem sicheren Tode ausgeliefert, wenn der Hausherr nicht energisch aufgetreten wäre. Überall lauerte das Gespenst GESTAPO - KZ TOD.
Conte
Ich sprach nicht von meiner Furcht, Du hättest mich ausgelacht, so wie Du 1933 die Warner verlacht hast, die Dich zu einer Flucht überreden wollten. Unerschrocken warst Du auch, als der 20. Juli 1944 alle Pläne zunichte machte, in die Du durch Deinen Freund Carl Mierendorff eingeweiht und einbezogen warst. Ich bekam im Sommer 1944 Dein Testament. Geld und die Mahnung: Sei tapfer!
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War ich tapfer? Ich mußte ja an meine Kinder denken. Das zweite sollte wenige Monate später geboren werden..
Sie haben Dich nicht verdächtigt und nicht gesucht. Sie haben Deine Freunde und Mitwisser ermordet. Du aber lebst, Du bist frei, Du darfst arbeiten!
Ich will, nachdem ich Deine Erlebnisse im Lager gelesen habe, schildern, was inzwischen draußen geschah, aber nur das Ungewöhnliche soll Raum finden.
zu haben. Er gab uns schließlich zwei Beamte mit. Wir gingen in die leerstehende Nebenwohnung, deren Verbindungswand zu unserm Büro eingeschlagen war. Das Bild,.das sich uns bot, würde heute niemand mehr entsetzen, denn die Bomben haben ja die gleichen und vollkommenere Zerstörungen vollbracht, aber damals waren wir erschüttert über diesen Vandalismus. Die Kriminalbeamten knirschten mit den Zähnen und fluchten ingrimmig. Sie waren außer sich, daß ein von ihnen versiegeltes Büro so eigenmächtig betreten und zerstört worden war. Durch einen von der Horde. unbeachtet gebliebenen Wandapparat holte der eine Beamte Auskunft ein beim nächsten Polizeirevier. Er legte dann verblüfft den Hörer hin und sagte: ,, Es ist auf Befehl des Kommissars geschehen." Schweigend verließen, die Beamten mit uns die Stätte der Verwüstung.
Was sollte aus uns Angestellten werden? Wir waren in das Heer der Erwerbslosen eingereiht. Ja, waren wir das? Vor mir liegt ein Bescheid vom 21. 4. 1933 des Arbeitsamtes Berlin - Südwest, BerlinFriedenau:
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Gonsen
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