Die Heckenschützen sind tot. Von den 2500 Polen ist innerhalb sechs Wochen die Hälfte gestorben, im Schlamm, im Morast. Der Hunger der polnischen Häftlinge zeitigt mancherlei Erscheinungen. Was kann man im Zusammenhange solcher Zustände sagen, wenn in dem seit­lichen Schatten der Scheinwerfer zwei Häftlinge einen Toten zwi­schen sich führen, um also zu dritt an dem Schalter der Brotausgabe drei Portionen Brot zu bekommen. Und doch war es so. Nachdem sie dann für sich und den Toten das Brot erhalten haben, warfen sie ihn nach einigen Schritten von sich.

Ich hatte kurze Zeit einen Tischgenossen, einen arisierten Halbjuden Wolf. Dieser Wolf, ein früherer aktiver Offizier, war von der Lager­leitung zum Lagerältesten des Polenlagers bestellt worden. Als solcher hatte er dauernd mit dem Massenmörder Hauptscharführer Blank zu tun, den ich schon einmal erwähnt habe. Blank, welcher schon beim Röhmputsch als hemmungsloser Mordgeselle gewirkt hatte, ist hier als Lagerführer des Polenlagers bestimmt worden und wirkt wie immer ganz im Sinne der Lagerleitung und ihrer höheren Auftrag­geber.

Selbst diesem hemmungslosen Mörder ist die Mordmethode der Lager­leitung im Polenlager zu grausam. In einer Unterhaltung, die er unter vier Augen mit Wolf hat, sagt er zu diesem: ,, Wenn diese Menschen sterben sollen, so soll man sie doch erschießen." Das langsame Ster­ben und die dazu angewandten Methoden scheinen noch vorüber­gehend Hemmungen bei ihm auszulösen. Inbezug auf seine Vergan­genheit sagt er: ,, Alles was ich getan habe, habe ich als Soldat und nur auf Befehl getan." Er kann nicht mehr zurück. Er mordet weiter, als Soldat und auf Befehl. Blank ist gleichzeitig der Wachtmeister der Arrestzellen. Und hier wird am meisten gemordet. Wenn_mor­gens das erste Kommando ertönt: ,, Die Leichenträger ans Tor!", dann läßt Blank die Bunker für andere Todeskandidaten freimachen. Und beim Beginn der nächsten Nacht arbeitet dieser Teufel weiter. Er geht mit einem Stück Strick in die Zelle, in welcher das ausgesuchte Opfer sich befindet, reicht ihm den Strick mit den Worten: ,, Also, du meldest dich nun vorschriftsmäßig bei mir ab. In einer Viertel­stunde komme ich wieder, und dann muß es geschehen sein." Der Häftling weiß, was ihn erwartet, wenn der Hauptscharführer Blank in einer Viertelstunde wiederkehrt. Er hat die Wahl, selbst Hand an sich zu legen oder von diesem Teufel umgebracht zu werden. Der 9. November 1939. Ein grauer diesiger Morgen. Der Nebel rie­selt von den Bäumen. Die Außenkommandos bleiben im Lager. Alle Juden werden in ihre Baracken befohlen. Ein Kommando über den Lautsprecher: ,, Die Juden vor ihren Baracken antreten!"

Sie treten hinaus, gehorsam, stumm. Das Lager hat drei Juden­baracken. Und vor jeder dieser Baracken mustert ein Scharführer seine Juden. Er läßt einzelne vortreten, mustert sie von oben bis

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