In diese Zeit fällt wieder ein Sonntag, an dem wir fasten müssen. Die Schuld liegt bei den Häftlingen. Und wo Schuld ist, muß auch Sühne sein. Der Begriff von Recht, Schuld und Sühne ist hier natio­nalsozialistisch. Und nationalsozialistischer Rechtsbegriff, zum min­desten in den Köpfen des Lagerkommandanten Koch und des Lager­führers Hüttig, ist, daß wir ,, nichts zu fressen" bekommen, wenn ein Häftling ein halbes Brot über den Drahtzaun des Polenlagers ge­worfen hat und der Name dieses Verbrechers nicht festgestellt wer­den kann.

Es ist streng verboten, einem Polen etwas zu essen zu geben, und nun wird von der Lagerleitung ein halber Sonntag arbeitsfrei ge­macht, um 12 000 Häftlinge bis zum Abend auf dem Appellplatz stehen zu lassen. Gegen 12 Uhr wird durch Lautsprecher befohlen: ,, Aufhören mit arbeiten. Auf dem Appellplatz antreten."

Die Massen gehorchen immer. Sie bauen das Lager, sie bauen ihren Stacheldrahtzaun, sie bauen die feudalen Wohnungen der Komman­danten, sie bauen die Löwenzwinger, die Falkenhorste, sie gehorchen immer. Und während sie gehorchen, schwebt ihnen eine Zeitenwende vor, in der sie ihre Peiniger niederschlagen wollen, an ihnen zu ver­gelten, was sie heute täglich verüben. Und wenn die Stunde kommen wird, in welcher das Sterben wieder Wert hat, dann wollen sie ster­ben mit der Waffe in der Hand, auf den Barrikaden, sterben den Tod, der noch einen Wert in sich birgt.

Heute marschieren die Tausende auf das Kommando des Lager­kommandanten Koch, einer kleinen Figur mit verschlagenem Gesichts­ausdruck, auf das Kommando des Lagerführers Hüttig, eines sadisti­schen Schweines, wie ihn die Häftlinge bezeichnen. Und heute ist dieses sadistische Schwein wieder ganz groß in Form.

Zehntausend sind angetreten, gehorchen. Die kreischende Stimme Hüttigs befiehlt. Zunächst die Meldungen der Blocks. Hüttig befiehlt nochmals: Stillgestanden! SS- Scharführer kontrollieren. Wer rührt, wird ans Tor beordert. Dorthin wird der Prügelbock gebracht. Hüttig läßt durchpeitschen. ,, Fünfundzwanzig!" ist seine stereotype Anord­nung. Und dann klatschen jedesmal 25 Hiebe auf das Gesäß des Opfers, das die sattgefütterten Gestalten der SS auf dem Prügelbock vor sich liegen haben. Stunden vergehen. Hüttig hat die Lagerkapelle antreten lassen. Die Musik übertönt die klatschenden Hiebe und die Schmerzensschreie der Geprügelten. Viele der ausgemergelten Häft­linge fangen an zu wanken. Wenn sie umfallen, werden sie zum Prügelbock gebracht. Und der Sadist Hüttig befiehlt: Fünf­undzwanzig.

Auch dieser Tag vergeht. Es wird Abend. Hüttig läßt wegtreten. Das Dritte Reich ist wieder stärker geworden. Seine Ideologie erfaßt die Herzen derer, welche sie bis jetzt noch nicht begriffen.

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