Siebentes Kapitel GESTALTEN UND FIGUREN Il
(Pankräc)
.Das Gefängnis -hat zwei Leben. Eines ist abgeschlossen in den Zellen, streng isoliert von aller Welt und doch verbunden mit ihr durch engste Bande, wo es sich um politische Häftlinge
handelt. Das zweite ist vor den Zellen, auf den langen Gängen,.
im düsteren Halbdunkel, eine Welt für sich, uniformiert und isolierter als die drinnen, eine Welt von vielen Figuren und wenig Gestalten. Von ihr will ich erzählen.
Sie hat ihre Naturgeschichte. Und sie hat auch ihre Ge- schichte. Wenn sie diese nicht hätte, hätte ich sie nicht gründ- lich kennenlernen können. Ich hätte nur die uns zugekehrte Kulisse gekannt, nur ihre scheinbar einheitliche und feste Ober- fläche, die mit eisernem Gewicht auf den Bewohnern der Zellen lag. So war es noch vor einem Jahr. Jetzt ist die Oberfläche schon voll von Rissen, und Gesichter schauen durch: arm- selige, freundliche, besorgte, lächerliche, sehr verschiedene Ge- sichter, aber alle die Gesichter von menschlichen Wesen. Die Last des Gefängnisregimes liegt auf jedem Mitglied dieser Dämmerwelt und bringt alles zutage, was menschlich in ihm ist. Es ist manchmal sehr wenig, manchmal fast unmerklich mehr— die Quantität unterscheidet sie voneinander und bildet Typen. Du findest‘hier allerdings auch einige ganze Menschen. Aber die haben nicht gewartet. Die haben nicht ihre Last ge- braucht, um andern unter der Last zu helfen.
Das Gefängnis ist eine unerfreuliche Institution. Aber die Welt vor den Zellen ist trauriger als in den Zellen. In den Zellen lebt Freundschaft— und was für Freundschaft! Eine solche, wie sie an den Fronten geschlossen wird, in langer Ge- fahr, wo dein Leben heute in meinen Händen sein kann und
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