Guillotine in der französischen Revolution, in immer rascherer Be- schleunigung seine Opfer verschlang, fand es schließlich keinen Raum mehr auf dieser Erde.
Man schritt zur Auflösung des Lagers..
6. Frucht: Die„heilige Befreiung“. Frühling, Erwachen des jungen Lebens draußen unter Gottes Himmel und drinnen in den Mauern des KZ das Werk der Zerstörung und Vernichtung— dieser grelle Kontrast war manchmal an die Grenzen der Fassungskraft ge- gongen. Was nützte es, daß die jugendlichen Geister unter. uns täglich, wenn die Sirene den Schluß des morgendlichen Zählappells ankündigte, mit einem Jubelruf die Arme in die Luft warfen: es folgte doch der lange, gehetzte Arbeitstag, es folgte der nächste Appell am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang. Da standen wir vielfach Zerlumpten und Kranken eine Stunde, zwei Stunden im Schweigen und beobachteten, wie der Himmel sich färbte und die Sterne verblichen, bis das erste Licht die bleichen, angespannten Gesichter traf. Da lernten wir den Flug der Vögel unterscheiden; das stille Kreisen und den langen Gleit- flug der Raubvögel, das kurzatmige Flattern der Krähen. Und wenn der Gegensatz der wunderbaren Freiheit dort droben in den Lüften und unseres Sklaventums auch manchmal den Kopf sprengen wollte, so wußte ich es doch immer aufs Neue und sagte es den Kameradinnen: Derselbe, der es machte, daß die Vögel über uns in Freiheit sich regen, der kann auch uns Gefangenen die Befreiung schenken, sobald er es will. Derselbe, der die jungen Blüten auf den ärmlichen Rabatten des Lagerplatzes in schimmernde Farben kleidete, kann auch unseren ver- sehkrten Leibern Gesundheit und erwünschte Kleidung geben, sobald er es will.
Befreiung, Heimkehr— das war der erste und letzte Gedanke der ge- fangenen Frauen, der über politische, künstlerische, wissenschaftliche Interessen und Ziele"hinaus alle einte. Ich fragte sie manchmal scherzend: Könnt ihr denn schon heim? Ich habe hier noch nicht aus- gelernt.
Zu Gefangenen gehören Träume, wie man aus den biblischen Geschich- ten von Joseph und Daniel weiß. Ich war in das Gerede gekommen, doß ich„Träume deuten könne“, und so brachten die Frauen mir ihre nächtlichen Gesichte. Ihre ausgesprochene oder unausgesprochene
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