und reichte die Schüssel sofort einer unserer Schwächsten weiter:„mir würde das von ihr gespendete Essen nicht bekommen, aber durch die Weitergabe würde es bekömmlich!“, was den Kameradinnen ein- leuchtete. Freilich— wie zu erwarten— blieben die Spenden darauf- hin bald wieder aus.
Ich aber fragte mich, was angesichts dieser und anderer neuer„Freun-.
dinnen“, die da um mich auftauchten, aus meinem kostbaren Bücher- besitz— ein holländisches Gebetbüchlein hatte sich dazugefunden— werden sollte. Es gab verschiedene Möglichkeiten: Weggeben, in den Ofen stecken oder behalten, darunter war das im Ofen Verbrennen ent- schieden das Sicherste. Es war ja nicht das Göttliche selbst, es war ja nur bedrucktes Papier und würde draußen tausendfach ersetzt werden können. Ich hatte die Geschichte von der Verleugnung des Petrus gelesen und fragte mich, was die dreifache Frage und dreifache Ableugnung des ängstlichenJüngers mir sagen wolle. Da wurde es mir klar: es gab drei Wege, den Herrn zu verraten: Jesus Christus selbst abzusagen; sein heiliges Wort— das mir in die Hände gelegt war— preiszugeben; mich von seiner Gemeinde— deren Gebete ich in Händen hielt— zu trennen. Ich durfte hier Inneres und äußerliche Verkörpe- rung nicht scheiden, wollte ich nicht ein Verräter werden: ich mußte die mir anvertrauten Bücher behalten und in Ehren halten.
Was daraus werden würde? Was auch aus der vorbereiteten letzten großen Vergasungsaktion werden würde? Auf all diese Fragen wurde Antwort von außen her.„Wohin sollen wir das Lager noch verlegen?“
meinte eine Aufseherin, als die Fronten von beiden Seiten uns auf den
Leib rückten;„wir können es nur noch nach oben verlegen“, und sie zeigte zum Himmel empor.
Das nationalsozialistische KZ, das Geschöpf Hermann Görings, zu- nächst zur Absperrung der Kommunisten bestimmt und vielleicht sogar aus einem gewissen Rest von„Humanität“ heraus geschaffen, um un- nötiges offenbares Blutvergießen zu vermeiden, hatte den Kainsweg genommen, den— krasser oder weniger sichtbar— jedes menschliche Tun und jede menschliche Organisation nehmen kann, in der die volle Mitverantwortung für den anderen Menschen abgelehnt wird:„soll ich meines Bruders Hüter sein“, den Weg— über den Versuch der Aus- beutung der Anderen als Arbeitstiere— zum Vernichtungsanschlag gegen die mißachteten Brüder. Zum blutigen Instrument der SS ge- worden, das, ähnlich nur in viel ungeheuerlicheren Ausmaßen als die
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