,, Zellenbaus". Die Kalfaktorin, eine Bibelforscherin, wurde gerufen, ich mußte mich ausziehen und erhielt ein Hemd, eine dünne Hose, ein Sommerkleid mit kurzen Ärmeln, Strümpfe und ein Handtuch. Die Schuhe wurden weggenommen. Dann brachte mich die Binz durch einen Korridor, über eine Eisentreppe hinunter in eine Zelle des Erdgeschosses. Noch bevor ich mich orientieren konnte, schlug die Tür zu, und es war völlig dunkel. Beim Vorwärtstasten stieß ich gegen einen Schemel, der am Fußboden festgeschraubt war. Da saß ich, und meine Augen suchten nach etwas Licht. Bei der Türritze, am Fußboden war ein schwacher Schimmer. Die Erregung ließ mich nicht lange stillsitzen. Sehr schnell weiß man im Dunkeln Bescheid: dem festgeschraubten Schemel gegenüber ein kleiner Klapptisch, an der gegenüberliegenden Wand ein angeschlossenes Holzbrett, die Pritsche, in der linken Ecke bei der Tür das Wasserklosett, daneben die Wasserleitung und rechts an der Tür kalte Zentralheizungsröhren. Der Tür gegenüber, ganz oben an der Wand, ein kleines, durch Rolljalousie licht- und luftdicht verschlossenes Fenster. Die Zelle war viereinhalb Schritt lang und zweieinhalb Schritt breit. Ich lief erst vorsichtig, um nicht mit dem Schienbein gegen den Schemel zu hauen, dann aber immer sicherer hin und her, hin und her., Ramdor irrt sich, wenn er glaubt, mich kleinzukriegen! Mit Dunkelheit? Ob er mich hungern läßt? Wie dumm, daß ich heute früh nicht alles Brot aufgegessen habe. Was meinte er bloß mit geheimen Aktenzeichen?" Ob er mich prügeln wird? Alle Schrecken des ,, Zellenbaus" fielen mir ein. Die Tot-, geschlagenen, die Verhungerten, die Irrsinniggewordenen.
Nein, draußen ist doch Milena, ich darf sie nicht allein im Lager lassen. Wer würde für sie sorgen, wenn das Fieber wieder beginnt? Wenn es gerade jetzt wieder schlimmer mit ihr würde! Entsetzliche Angst ergriff mich, daß sie sterben müßte. Ich hörte ihre Stimme, wenn sie abends auf dem Strohsack schluchzte: ,, Ach, wenn ich tot sein könnte ohne sterben zu müssen. Laß mich nicht allein wie einen Hund verrecken..." Solange ich neben ihr war und sie trösten mußte, glaubte ich selbst, daß sie die Freiheit erleben und wieder gesund werden würde. In der Finsternis der Zelle wurde ich plötzlich hellsichtig, ich wußte, daß sie rettungslos verloren war.
...
Plötzlich knipste man außen Licht an; ich blinzelte und sah im ,, Spion" ein Auge mit rotblonden Wimpern. Nur einen Augenblick, dann wurde es wieder dunkel, und Männerschritte entfernten sich. Es war Ramdor, der seinen neuen Fang betrachtet hatte.
Nach einigen Stunden erregtem Auf und Ab in der Dunkelheit versuchte ich, die unzähligen Geräusche vor der Eisentür zu unterscheiden. Die fluchende Stimme der Binz , durchdringendes Weinen, Hundegebell, dann wieder Männerstimmen und lautes Lachen. Wie in einem Schwimmbad hallte jedes Wort da draußen. Die Klappen an den anderen Zellen
16 Buber: Gefangene.
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