ihrer Polizeifunktion der Oberaufseherin einige Kassiber und mehrere Säckchen mit Salz überbrachte, die ihr in die Hände gefallen waren. Briefe und Salz hatten russische Häftlinge ihren Genossen von der ,, Roten Armee " über den Stacheldraht zuzuwerfen versucht. Die Langefeld forderte mich auf, diese Kassiber zu übersetzen. Und was stand da zu lesen? ,, Teure Genossen! Wir begrüßen Euch in Ravensbrück ! Wie ist Eure Gesundheit? Habt Ihr viele Strapazen erleiden müssen? Wir werden versuchen, Euch Brot zu schicken. Es ist nun schon bald ein Jahr her, daß uns die verfluchten Deutschen aus unserer Heimat verschleppt haben. Bitte teilt uns sofort mit, ob Ihr in Ravensbrück die Arbeit verweigern werdet. Wir sind bereit, dann ebenfalls in den Streik zu treten. Laẞt uns eine Antwort zukommen." Und dann folgten mehrere Unterschriften mit vollem Namen, Häftlingsnummer und Blockangabe. Alle diese Briefe waren Ergebenheitsadressen und diktiert von der Angst vor der nun in Ravensbrück erschienenen russischen ,, Obrigkeit." Selbstverständlich gab ich den Wortlaut der Kassiber falsch wieder und machte aus ihnen rein sentimentale Begrüßungsschreiben, die sofort in den Papierkorb wanderten. Als auf die vielen Kassiber hin niemals eine Bestrafung erfolgte, ging die Knoll oder ein anderer Häftling der Lagerpolizei einmal mit einem solchen Zettel zu einer Polin, die russisch und deutsch verstand und ließ ihn übersetzen. Erst dann kam er in die Hände der Langefeld und wurde von mir in der üblichen Art entziffert. Die Folge davon war eine Denunziation an den Schutzhaftlagerführer, wofür man mich aber erst einige Monate später zur Rechenschaft zog, man schrieb es sozusagen auf mein mehr und mehr anwachsendes Schuldkonto.
Wenn ein Häftling erfuhr, er habe eine„, Anfrage" der Gestapo , geriet er außer sich vor Freude und sah sich bereits entlassen und wieder in der Freiheit. Darum drängte ich die Langefeld, die ihre Arbeit sehr schlecht einzuteilen verstand, immer wieder zur Beantwortung dieser ,, Führungsberichte". Meine Aufgabe dabei war, die von der Oberaufseherin gestellten Fragen und die erfolgten Antworten der Häftlinge zu stenografieren. Anschließend formulierte die Langefeld einige Sätze, die entweder eine Entlassung befürworteten oder ablehnten. Um diese Arbeit zu beschleunigen, ergab es sich nach einiger Zeit, daß ich die Oberaufseherin lediglich fragte, ob eine positive oder negative Antwort erfolgen solle und dann die Anfrageformulare selbständig ausschrieb, sie nur zur Unterschrift vorlegte. Da konnte es nicht ausbleiben, daß ich, soweit es nur irgend möglich war falls ein Häftling nicht mehrere Lagerstrafen verbüßt hatte diese ,, Anfragen" positiv beantwortete. Auch dieser Umstand entging nicht dem scharf kontrollierenden Auge des Lagerkommandanten. Es kam vor, daß die Gestapo nach Häftlingen fragte, die im Krankenrevier lagen, also nicht geholt werden konnten. Da fragte ich einmal die Oberaufseherin, ob ich nicht ins Revier gehen
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