mandanten versehen, wieder ins Büro der Oberaufseherin zurückkam.
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Die verurteilten" Häftlinge wurden zur ,, Strafverkündung" gerufen, und die Langefeld teilte ihnen das Urteil mit.
Eine ihrer weiteren Funktionen war die Beantwortung von sogenannten„, Anfragen" oder„ Führungsberichten", die angeblich für den Zweck der Entlassung eines Häftlings an die ,, Politische Abteilung" des Konzentrationslagers gerichtet wurden. Da fragte man z. B., ob die Gefangene X. sich gebessert habe, wie sie arbeite, wieviel Lagerstrafen sie habe, kurzum wie ihre ,, Umschulung" fortgeschritten sei. Häftlinge mit ., Anfragen" wurden ebenfalls zur Langefeld bestellt, und sie hatte die Aufgabe, in einer Unterhaltung, die kaum mehr als fünf Minuten dauerte, sich einen Eindruck zu verschaffen, ob dieser Häftling zur Entlassung ,, reif" sei. Das Anfrageformular wurde ausgefüllt und ihm einige befürwortende oder ablehnende Sätze beigefügt. Die endgültige Entscheidung über eine Entlassung fällte jedoch immer die Gestapo , und außerdem fügte auf so einer ,, Anfrage" der Lagerkommandant auch noch seine Befürwortung oder Ablehnung hinzu. Neben der Langefeld gab es noch eine zweite Oberaufseherin namens Gallinat, der der Außendienst unterstand. Sie kontrollierte die SS - Blockleiterinnen und die Aufseherinnen bei den Arbeitskommandos.
Die Langefeld war eine Frau eine Frau von zweiundvierzig Jahren. Sie stammte aus dem Rheinland und war in einer streng nationalen Beamtenfamilie aufgewachsen. In ihrer Kindheit, während des ersten Weltkrieges, hatte sie sich sehnlichst ein Mann zu sein gewünscht, um gegen den Erbfeind Frankreich ins Feld ziehen zu können. Johanna Prochaska, die 1812 als Mann verkleidet in einem Freikorps kämpfte, war ihr Ideal. Die Besetzung des Rheinlands durch die Franzosen im Jahre 1918 empfand sie als tiefste Schmach und begrüßte stürmisch die von Adolf Hitler verkündete ,, Erneuerung Deutschlands ". Während der Inflation verarmte ihre Familie, und als sie nach kurzer Ehe Witwe wurde, mußte sie einen Beruf ergreifen, um ihr Kind ernähren zu können. Sie begann im Wohlfahrtswesen zu arbeiten und später in einem Gefängnis als Beamtin. 1936 oder 1937 wurde sie Aufseherin im Frauenkonzentrationslager Lichtenburg und bald darauf Oberaufseherin. Im Frühjahr 1942 schickte man sie infolge von Differenzen mit dem Lagerkommandanten Kögel als Oberaufseherin nach Auschwitz , von wo sie im Oktober 1942 nach Ravensbrück zurückkehrte.
Mit dieser Frau saß ich nun zusammen Tag für Tag in einem Raum. Sie hatte unter den Häftlingen von Ravensbrück den Ruf ,,, anständig" zu sein. Sie schlug nicht und trat nicht mit Füßen. Noch bevor ich irgendwelche Privatgespräche mit ihr führte, machte sie auf mich den Eindruck eines von inneren Zweifeln zerrissenen Menschen, voller Hemmungen und Minderwertigkeitsgefühlen. Sie saß an ihrem Schreibtisch, klopfte
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