Im Winter 1941/42, schon hatte man in Ravensbrück mit der Ver- nichtung der Menschen durch Gas begonnen, wurde Else Krug eines Tages aus dem Strafblock zum Lagerkommandanten Kögel gerufen. Er befahl:Krug, Sie werden ab sofort aus dem Strafblock entlassen und gegen dreifache Essenration an der ‚Vollstreckung des Strafvollzuges teilnehmen! Else Krug antwortete:Nein, Herr Lagerkommandant, ich schlage niemals einen Mithäftling! Kögel schäumte:Was, Sie dreckige Hure, Sie wollen die Arbeit verweigern?!Jawohl, Herr Lager- kommandant!Sie werden noch an mich denken! Ab! und Else Krug ging zurück in den Strafblock. Einige Wochen später schickte man sie mit einem Krankentransport ins Gas. Else wußte, wohin es ging

und auch, daß es Kögels Rache war.

Eines Morgens ertönte früher als üblich die Sirene, aber nicht die gewöhnliche, kreischende, die‚Hule, wie sie im Häftlingsjargon hieß, sondern eine große, mit dunklem, schauereinjagendem Ton. Minutenlang heulte und brüllte es. Die Blockälteste schrie erregt:Alle sofort auf die Lagerstraße! Es ist eine geflohen! Nach wenigen Minuten standen alle Blocks an ihrer gewohnten Stelle. Wir sahen Aufseherinnen mit Hunden über den Lagerplaß stürzen, hörten die befehlende Stimme des Lagerkommandanten und das Anlassen knatternder Motoren: die SS rüstete zur Menschenjagd. Man zählte die angetretenen Häftlinge; es fehlte eine aus dem Strafblock. Die Zigeunerin Weit. Sie war nachts mit ihrer Decke und dem Kopfpolster unterm Arm aus dem Strafblockfenster gestiegen, hatte es gewagt, sich über die Lagerstraße auf der die ganze Nacht Polizeihunde frei herumliefen bis dicht an das eiserne Aus- gangstor zu schleichen, hatte dann das Dach der SS -Kantine erstiegen immer mit Decke und Kissen unterm Arm war, kaum zehn Meter von der SS -Wachstube am Tor entfernt, bis an den starkstromgeladenen Stacheldraht der Mauer, der dicht hinter der Kantine entlanglief, ge- rutscht, hatte Decke und Kopfpolster zur Isolierung über den geladenen Stacheldraht gelegt und war hinüberbalancierend die viele Meter hohe Lagermauer hinabgesprungen in die ersehnte Freiheit. Im Morgen- grauen sah der Posten die karierte Lagerdecke am Stacheldraht hängen.

In den Strafblock kamen die Frauen wegen sogenannter Lagerver- gehen auf drei Monate, ein halbes Jahr, ein Jahr oder für die Dauer des Lageraufenthaltes. Unter den tausenden Frauen gab es selbstverständ- lich, besonders bei Asozialen und Kriminellen, absolut verbrecherische Elemente, die bei den strengen Lagergesegen in kurzer Zeit im Straf- block landeten. Ihre Anwesenheit machte den Aufenthalt im Strafblock für die anderen zu Strafblock Verurteilten zur Hölle. Schlägereien, Dieb- stahl, Verrat waren an der Tagesordnung. 1940 hatte der Strafblock eine asoziale Blockälteste, die mit Faustrecht regierte. Die Häftlinge des Strafblocks erhielten die gleiche Ernährung wie wir, verrichteten aber

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