mir die Nachbarin von der anderen Seite zu Hilfe. Sie war eine polnische Klavierlehrerin und schon vor vierzehn Tagen mit einem Transport aus Thorn gekommen. Die Mehrzahl der Häftlinge von Block 16 stammten aus diesem Transport, es waren polnische Lehrerinnen, Schülerinnen, Beamtinnen und Intellektuelle, mit denen es sich sehr gut hätte leben, lassen, wenn nicht die Blockälteste durch ihren Übereifer, die Lagerbestimmungen zu befolgen und es der SS- Blockleiterin genehm zu machen, unsere ohnedies traurige Lage durch unnötige Keifereien und Schikanen verschlimmert hätte.
Als die Mühle der Registrierung durchlaufen war, erhielt ich als Abzeichen meiner endgültigen Häftlingsexistenz einen roten Winkel und eine Gefangenennummer auf den linken Kleiderärmel genäht, und die Blockälteste erläuterte, wie ich mich von nun an vor der SS - Obrigkeit zu melden hätte: Strammstehen, die Arme an die Seiten gedrückt: ,, Schutzhäftling Margarete Buber, Nr. 4208".
4200 Frauen lebten 1940 in sechzehn Wohnbaracken. Damals hatte Ravensbrück erst eine Lagerstraße, später drei.
Als Zugang lebte ich hinter dem Gitter, das den Seitengang absperrte, und blickte während des Spazierganges voller Staunen in das Gewimmel Tausender von Frauen draußen auf der Lagerstraße. Ich wußte bereits, daß die höchste Häftlingsfunktion ,, Lagerläuferin" hieß und mit einer roten Armbinde gekennzeichnet war, daß es Anweisungshäftlinge gab, die auch rote Binden trugen und deren Tätigkeit der der Brigadiere in Karaganda glich.
Ungefähr nach einer Woche Lagerleben hatte unsere Blockälteste gerade ,, Schweigestunde" kommandiert; ich saß auf meinem Schemel, strickte an einem feldgrauen Strumpf und hatte aus alter Gewohnheit vom Sitzen auf den Brettern in russischer Haft die nackten Füße unter mich gezogen. Da rief man mit Nachdruck durch den Tagesraum: ,, Ist hier eine Buber?" An der Tür standen die Lagerläuferin Betty Wiedmann, unsere Blockälteste Minna Rupp und eine dritte, ebenfalls mit roter Armbinde. Ich antwortete, worauf man befahl: ,, Komm mal raus!" Ich klemmte mich nach vorn, die Lagerläuferin griff nach meinem linken Ärmel und kontrollierte die Nummer. Daun gingen die drei mit mir in den Schlafsaal, den zu betreten am Tage streng untersagt war und begannen mich auszufragen: Du bist in Moskau verhaftet worden?" ,, Ja."- ,, Warum denn?" Ich begriff, daß diese drei hohen ,, Häftlingsfunktionäre" gesandt worden waren, um mich einem stalinistischen Verhör zu unterziehen. Auf meine unmiẞverständlichen Antworten brach die sture Schwäbin Minna Rupp in die Worte aus:,.Da bischte äbe e Trotschkischt!", womit sie mich, ebenso wie einst der Moskauer Untersuchungsrichter, als Konterrevolutionär und Volksfeind abstempelte. Ich kehrte zu meinem Strickstrumpf zurück, ohne mir völlig klar zu sein,
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