uniformierten Aufseherinnen schritten zählend an den aufgestellten Frauen entlang, begleitet von der rapportierenden Blockältesten.
Und wir standen weiter. Die nackten Füße begannen zu schmerzen. Seit Monaten waren sie weder an Stehen noch Laufen gewöhnt. Ich wechselte von einem Bein auf das andere und bog die klammen Zehen. Da endlich, nach anderthalb Stunden, heulte die Sirene:„ Abtreten!" Das war der erste Zählappell in Ravensbrück , und das wiederholte sich täglich zweimal.
Meine unbekannte Nachbarin, die schon eine Woche in Ravensbrück war, erzählte mir das schreckliche Ereignis des heutigen Tages. Hinter der Waschküche hatte sich eine Zigeunerin, Mutter von mehreren Kindern, in den mit Starkstrom geladenen Stacheldraht gestürzt, als sie die Nachricht erhielt, daß ihr Mann gefallen sei. Wenn wir morgen die schmutzigen Handtücher in die Waschküche tragen, müssen Sie mitkommen. Oben am Stacheldraht hängen noch die verkohlten Finger, die sind abgerissen, als man die Leiche herunternahm", fügte sie noch mit einer Mischung von Grauen und Sensationslust hinzu.
99
In der Baracke wurde schon wieder etwas an die Zugänge ausgeteilt. Diesmal waren es zwei dicke Wolldecken, ein weißes Laken, blaukarierte Bett- und Kopfkissenbezüge und ein langes, blauweiß gestreiftes Nachthemd. Und dann mußten wir im großen Schlafsaal der B- Seite ,, Betten bauen" lernen, eine weitere Teufelei. Der Block 16 sowie alle Baracken in Ravensbrück hatte zwei Flügel: die A- Seite und die B- Seite. Auf jeder Seite war ein Tagesraum und ein Schlafsaal, der ursprünglich nur hundert Menschen beherbergen sollte. Aber schon 1940 mußten an 250 in einem Block Platz finden und in den späteren Jahren über 500. Dann hatte jede Baracke einen Waschraum, mit Waschbecken und Fuẞwannen, eine Toilette und ein Dienstzimmer für die SS- Blockieiterin, die aber nur morgens und abends kurze Zeit dort zubrachte. In der übrigen Zeit war der Aufenthalt in diesem einzigen normalen Wohnraum das Privileg der Blockältesten.
-
So eine Ravensbrücker Baracke schien mir ein Palast, wenn ich an die Lehmhütten in Burma zurückdachte. Man bedenke nur, eine Toilette und ein Waschraum! Tische und Schemel und Schränke! In ganz Karaganda gab es für Häftlinge weder einen Tisch noch einen Stuhl. Aber nun erst der Schlafsaal mit seinen sieben, damals noch zweistöckigen Bettenreihen, wo jeder Häftling sein eigenes Bett mit einem Strohsack besaß! Aber freue dich nicht zu früh! Mein Bett lag oben in der ersten Etage. Neben mir schlief ein neunzehnjähriges Mädchen mit kindlichem Gesicht und abgeschorenen Haaren. Sie war ein„ ,, Polenliebchen“.
Auf das Kommando der Stubenältesten hatten wir den Strohsack ,, in Form" zu bringen. Er durfte keinen„ ,, Bauch" haben und mußte ,, kantig sein. Wir wühlten mit den Händen im Stroh herum. Da kam
183


