aus durchsichtigem Glas und verlor dadurch den typischen Zellen­charakter, außerdem gab es Klo und Wasserleitung. So etwas weiẞ nur ein aus Rußland kommender Häftling richtig zu würdigen.

Gleich in den ersten Stunden entdeckte ich die Inschriften und Zeichnungen an der hölzernen Zellentür. Wer hätte das in Butirki ge­wagt! In der mittleren Türfüllung prangte eine geballte Faust in natür­licher Größe mit der Unterschrift: ,, Rot Front , trotz alledem!"

Es gab keinen Zentimeter Tür, der nicht einen Vers aus einem revolutionären Lied oder eine Losung trug, und in einer Ecke las ich: ,, Alles ist vergänglich, auch lebenslänglich!" Welch ein Trost!

In den ersten Tagen waren wir zu zehnt in diesem Raum. Weshalb nur verhaftete die Gestapo die vielen Frauen? Besonders im Gedächt­nis blieben mir die Verhafteten vom ,, Adlershofer Prozeẞ". Sie standen unter der Anklage, kommunistische Antikriegsflugblätter hergestellt und verbreitet zu haben. Ein Funktionär der Komintern , der aus Dänemark illegal nach Adlershof bei Berlin gekommen war, hatte dort die Anti­kriegsarbeit geleitet. Zur gleichen Zeit, in der die NKWD uns der Gestapo auslieferte, fuhren in ihrem Auftrag Kominternfunktionäre in die deutsche Illegalität, um gegen den Bündnispartner Deutschland Anti­kriegsarbeit zu leisten.

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Mit zwei von den Adlershofer Frauen teilte ich meine Zelle längere Zeit. Frieda war die erste. Eine bleiche, dunkelhaarige Frau, die wohl 32 Jahre alt sein mochte, wurde aus der Einzelhaft in Zelle Nr. 17 ge­bracht. Die ersten Tage saß sie mit verbissenem Gesicht am Tisch, schwieg oder las den Völkischen Beobachter" mit Hingabe, Zeile für Zeile. Sie hätte ihn abonniert, erklärte sie mir. In ihren braunen Augen lag tiefste Verzweiflung. Als sie etwas Vertrauen zu mir gefaßẞt hatte, erfuhr ich, daß Frieda seit ihrer Jugend in einer Schneiderei arbeitete und daß ihr Mann, ein Metallarbeiter, als Kommunist 1933/34 im Kon­zentrationslager gesessen hatte. ,, Ich war nicht in der KP", erzählte sie mir ,,, und als mein Mann dann glücklich aus dem KZ kam, versprach er, nie wieder was mit Politik anfangen zu wollen. Dann bekam er Arbeit und es ging ganz gut. Im vorigen Jahr, ich sollte gerade ein Kind kriegen und freute mich sehr, traf mein Mann auf der Straße einen alten Kumpel aus der KP und lud ihn zu sich ein. Damit begann unser ganzes Unglück. Ich hatte eine Fehlgeburt und konnte mich gar nicht mehr recht erholen. Ja, und dann merkte ich, daß mein Mann immer öfter mit den Kolonnen von früher zusammenkam. Ich ahnte schon, was da gespielt wurde. Da habe ich mir gedacht, es ist besser, wenn ich hereinfalle und nicht er, wo er doch schon einmal gesessen hat und sie ihn beinah totgeschlagen haben, damals im Kolumbia- Haus. Ich sagte ihm das, und was kam dabei heraus? Daß wir beide in die Sache verwickelt wurden! Wenn mein Mann doch nur auf mich gehört hätte! Wozu hatten wir das nötig!" Als ich

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