hinauf bis zu einer Tür mit dem Schild ,, Frauenabteilung". Eine spindeldürre, übermäßig lange Alte in weißer Kittelschürze, die, um sich noch zu erhöhen, einen kleinen Dutt auf dem Hinterkopf trug, öffnete auf. das Klingeln und forderte mich mit männlichem Baß auf: ,, Kommse rein in die Aufnahme!" Das war die Leiterin der Frauenabteilung im Polizeigefängnis Alexanderplatz.„ Tante Anna" oder der ,, Leuchtturm" genannt. Gestapomann Krohne hatte ihr bei meiner Einlieferung einen Zettel in die Hand gedrückt. Als meine Daten aufgenommen wurden, sah ich zufällig, wie ,, Tante Anna" nach einem Blick auf dieses Papier eine Rubrik in ihrem großen Buch ausfüllte. Sie schrieb das Wort ,, Hochverrat".
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Tante Anna" war ein altes Faktotum aus der Weimarer Republik . Die Nazis hatten sie ,, übernommen". Sie bestimmte den Ton in der Frauenabteilung des Polizeigefängnisses. Nach Butirki schien mir der ,, Alex" ich meine die Frauenabteilung, nicht die Geheime Staats polizei ein idyllischer Aufenthalt. Die Wachtmeisterinnen waren fast alle freundlich, man konnte mit ihnen Gespräche führen, selten hörte man ein Kommando. Da schlug keine mit dem Zellenschlüssel gegen die Tür, wenn laut geweint, laut gesungen oder laut geschrien wurde. Beim Spaziergang auf dem Gefängnishof, der von hohen Mauern und auf der einen Seite vom vielstöckigen Gebäude des Polizeipräsidiums umrahmt war und nicht weniger trostlos als der von Butirki aussah, erschallte kein ,, ruky nasad!"( Hände nach hinten!) oder„, glasa vnisu!"( Augen niederschlagen!) Nein! Ganz im Gegenteil: an den Fenstern des Präsidiums standen Kriminal- und Gestapobeamte und musterten mit Kennerblick die Prostituierten beim Rundgang, und diese kreischten ohne Scheu hämische Bemerkungen hinauf zu den ,, Bullen", denen sie ihre Verhaftung zu verdanken hatten und von denen wahrscheinlich viele ihre ehemaligen ,, Kunden" waren.
Der ,, Alex" war ein Durchgangsgefängnis, in dem sowohl von der Gestapo Verhaftete als auch durch Kriminalpolizei Festgenommene saßen und nach einigen Verhören entweder ins Untersuchungsgefängnis Moabit weiterbefördert wurden oder aber wieder in die Freiheit kamen. Dauerhäftlinge wie mich gab es dort sehr selten. Da war z. B. eine Zelle, die nur solche Prostituierte beherbergte, die bei Polizeirazzien wegen Ausschreitungen in betrunkenem Zustande oder wegen irgendwelcher ,, Kontrollvergehen" zusammengetrieben wurden und deren kreischende Proteste zu den gewohnten Geräuschen der Nächte im ,, Alex" gehörten.
Ich kam in Zelle Nr. 17, die für vier Häftlinge bestimmt war, aber manchmal bis zu zehn Frauen aufnahm. Man schlief auf Matratzen und hatte Bettwäsche. Daß es Wanzen in Hülle und Fülle gab, machte keinen Eindruck mehr auf mich, ebenso wenig, daß das Essen kaum genießbar und jämmerlich wenig war. Die Zelle hatte ein großes Fenster
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