vor allem um eine Nachricht an Verwandte zu senden, aber es gelang nicht. Das Haus war Tag und Nacht bewacht.
16. ALS UNTERSUCHUNGSGEFANGENE
IM BERLINER POLIZEIPRÄSIDIUM
Und dann kam der Morgen des sechsten Tages. Der 8. März 1940. Zwei mit einer Plane verdeckte Polizeiautos fuhren knatternd vor die Herberge. Kommandos wurden gerufen, und mit einem Schlage hatten alle wieder Häftlingsgesichter. Die Hände lagen wie selbstverständlich an der Hosennaht, in den Augen war Angst, Unterwürfigkeit und dumpfer Widerstand. Bei manchen klappten auch die Hacken zusammen und der Brustkorb wurde herausgedrückt. ,, Nu mal los, ein bißchen dalli! Ihr habt wohl gar keinen Mumm mehr in den Knochen! Rauf auf die Autos! Die Frau kommt nach vorn!"
Ich saß zwischen Chauffeur und Gestapomann. Es war ein trüber Tag. Überall lag noch angegrauter Schnee. Die Fahrt ging über Frankfurt an der Oder , dann auf die Reichsautobahn. Die ganze Zeit hatte ich nur einen Gedanken, was werden sie mich in Berlin bei der Gestapo fragen, was wissen sie noch und was soll ich antworten. Nur dunkel erinnere ich mich an spärliche Kiefernwälder und die sausende Fahrt auf der Autobahn. Dann fuhren wir in die östlichen Außenbezirke Berlins ein. Und hatte ich mir das in Sibirien je träumen lassen? Noch einmal im Leben nach Berlin zurückzukommen? Aber ich saß wie erstarrt. Diese Straßen da hatten nichts mit mir zu tun. Das war nicht die Heimat, nach der ich mich gesehnt hatte. Und als wir zum Alexanderplatz einbogen, war das einzige, was wir auffiel, das Standbild der dicken ,, Berolina", das die Nazis wieder an seinen alten Platz zurückgebracht hatten.
Wir stiegen vor dem Polizeipräsidium von den Autos. Dort standen wir zu zweien angetreten, und die Passanten blickten mit runden, erstaunten Augen auf uns seltsame Gestalten mit den Pelzmützen. Sie führten uns in den ,, Alex", irgendwelche Treppen hinauf in einen großen Büroraum, wo ein gemütlicher Beamter, die Thermosflasche und das Frühstücksbrot neben sich auf dem Schreibtisch, unsere Namen verlas. Das war Herr Krohne, ehemaliger Verkehrspolizist und jetziger kleiner Beamter bei der Gestapo . Den sollte ich während der fünf Monate Untersuchungshaft im Polizeipräsidium noch gut kennenlernen. Er redete alle mit ,, du" an. ,, Na, da freuste dich wohl, daß de wieder zu Hause bist?" begrüßte er mich. Das kam so ehrlich heraus, daß ich nicht wußte, ob er mich verhöhnte oder es ernst meinte. Ich verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln.
Ein anderer Beamter brachte die Männer fort. Keiner dachte an ein Abschiedswort. Seitdem wir in dieses Haus eingetreten waren, schienen alle ganz wesenlos zu sein. Dann ging ich neben Krohne viele Treppen
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