Während des Schreibens blickte alle paar Minuten der Aufseher durch den ,, Spion", öffnete die Klappe und trieb zur Eile an.
Klara Vater blieb zurück in der Zelle. Ich habe sie nie wiedergesehen und nichts über ihr Schicksal erfahren.
Mit Betty Olberg zusammen ging es dann eilig durch den ,, Wogsal" zum Gefängnistor. Da stand der ,, Schwarze Rabe". Als wir hineinkletterten, waren schon alle Schränke besetzt. Wir hörten Männerstimmen. Man sprach deutsch . ,, Wer seid ihr? Deutsche?" rief es zu gleicher Zeit aus verschiedenen Kästen. ,, Sind auch unsere Frauen dabei?" Man nannte verschiedene Namen. ,, Wir sind nur zu zweit!"
-
-
99
Der Gefängniswagen hielt. Es war an einem Güterbahnhof, und man führte zuerst uns Frauen Betty Olberg schleppte sich mühsam vorwärts zu einem Stolypin- Waggon, dem üblichen russischen Eisenbahnwaggon für Gefangene. Da erkannte ich den Bahnhof. Es war der Weißrussische, der, von dem die Züge nach dem Westen, nach Polen , abfahren. ,, Betty, sie transportieren uns nach Deutschland ! Von diesem Bahnhof aus kann es nirgends anders hingehen!"
Der Waggon war schon voller Männer. Beim Vorbeigehen versuchte ich, die an die Gitter gepreßten Gesichter zu unterscheiden und hatte nur einen Gedanken: Ob Heinz auch dabei ist? Voller Hoffnung und entsetzlicher Angst war es mir, als hörte ich seine Stimme.
Im letzten Abteil schloß man das Schiebegitter hinter Betty Olberg und mir. Es dauerte eine Weile, bis wir einzelne Rufe der Männer unterscheiden konnten. Immer wieder Namen von Frauen. Da vergaß ich alle Vorsicht und rief durchs Gitter: ,, Hat jemand von euch Heinz Neumann irgendwo gesehen oder von ihm gehört?" Aus dem Durcheinander von Antworten viele behaupteten, etwas von ihm zu wissen eines klar: keiner hatte ihn weder in Untersuchungshaft, noch im Zuchthaus, noch im Lager gesehen.
-
-
war nur
Die Begleitmannschaft, die aus mehreren NKWD Soldaten und einer Frau bestand, verhielt sich völlig passiv bei diesem Rufen von Abteil zu Abteil. ,, Weiß jemand von euch, wo man uns hinbringt? Wir werden doch den Deutschen ausgeliefert?" Mit Entrüstung antwortete man mir aus den Männerabteilen: Wo denkst du hin! Wir fahren bis Minsk und von dort auf einer Zweigbahn nach Norden. Wir werden über die litauische Grenze abgeschoben." ,, Aber warum fahren wir dann
99
-
nicht über Leningrad ? Das wäre doch viel einfacher?"
Betty Olberg lag ermattet auf ihrem Platz. Sie hatte sich nur wenig erholt in den Wochen der Auslieferungshaft. Sie wog nicht viel über 70 Pfund. Nur die Haare, die man ihr im Zuchthaus geschoren, waren in der Butirkier Zeit nachgewachsen und standen jetzt zu Berge wie eine Bürste. Ihr Gesicht war grau und eingefallen. Bettys Mann war beim ersten großen Moskauer Prozeß im Jahre 1936 erschossen und sie zu
153


