munistin, habe mein Leben lang in der Fabrik gearbeitet und niemals etwas Unrechtes getan. Was will man nur von mir?! Was habe ich bloẞ verbrochen? Womit habe ich das verdient?!" Ihre Anklage beruhte auf Folgendem: 1936/37 hatte man in allen Fabriken, wo deutsche Spezial­arbeiter tätig waren, mit deren Ausweisung nach Hitler- Deutschland be­gonnen. In der Lederfabrik gab es erregte Debatten darüber. Grete Sonntag äußerte im Laufe eines Gespräches zu einem jungen deutschen Arbeiter: ,, Du könntest ruhig nach Deutschland zurückgehen, du warst nicht in der KPD und bist ganz unbelastet." Diese Unterhaltung hörte ein anderer deutscher Arbeiter und denunzierte sie bei der NKWD . Darauf erfolgten Verhaftung und Anklage. Grete Sonntag wurde später, in der gleichen Nacht wie ich, zu 5 Jahren Konzentrationslager verur­teilt. Darüber berichte ich noch.

Der Tag in Butirki begann schon um 24 Uhr morgens mit dem Ruf: ,, Fertigmachen zum Austreten! Dawaj! Dawaj! Schneller, schneller!" Jeder Häftling suchte dann aufgeregt nach dem Beutel mit seinem Waschzeug, damit er möglichst an erster Stelle sei. Die Toilette, zu der wir einhundertzehn Frauen geführt wurden, hatte nur fünf Aborte und ungefähr zehn Wasserhähne. Die Klos waren offen, nur ein Loch am Boden und ohne Sitzgelegenheit. Es bildeten sich sofort Schlangen vor jedem, ebenso vor den Wasserleitungen. Man stelle sich vor, man ver­richtet seine Notdurft, und zwanzig Augen blicken mehr oder minder wütend auf einen und sparen nicht mit aufmunternden und hämischen Zurufen, die zur Eile anfeuern, denn sie wollen auch noch an die Reihe kommen. Dasselbe spielte sich vor den Wasserhähnen ab. Wer übertriebener Reinlichkeit frönte, konnte etwas erleben. Diese Proze­dur durfte für alle einhundertzehn nicht länger als vierzig Minuten dauern.

So ist es im Leben der Gefangenen. Da spielt es gar keine Rolle, ob du Wochen, Monate, Jahre versitzt, aber wenn man dich mitten in der Nacht zum Untersuchungsrichter, zum Spaziergang oder zum An­treten kommandiert, da hast du kopfüber zu stürzen, da geht es um die Minute. ,, Dawaj! Dawaj! Schneller! Schneller!" ist der Ruf, den man am häufigsten in russischer Haft hören muß.

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Solange du noch ein Neuling bist, ist die Nacht schlimmer als der Tag. Schlafe einmal bei strahlender elektrischer Beleuchtung, Augen zu verdecken ist streng verboten auf unebene Bretter ge­streckt, ohne Strohsack, Kopfkissen und Decke, mit den schwitzenden Körpern deiner Nachbarinnen in ständiger Berührung!

In Butirki fanden die Verhöre meist nachts statt. So gegen zehn Uhr begann es gewöhnlich, wenn wir im ersten Schlaf lagen. Durch die Klappe erscholl ein Name und Fertigmachen ohne Sachen!" Die Ge­rufene suchte schlaftrunken, aufgeregt nach ihren Kleidern. Oft konnte

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