das ganze Bein in Mitleidenschaft gezogen und zu einer schmerzhaften Anschwellung der Leistendrüsen geführt hatte. Ohne jede örtliche Be- täubung riß unser Medizinmann mit einer scharfen Pinzette über der ganzen Entzündungsfläche die Haut und das wilde Fleisch, das sich unter ihr gebildet hatte, herunter, Als der so rücksichtslos Behandelte dabei natürlich laut aufheulte, rieb sich der Zaubermann die Hände, lachte höchst befriedigt aus vollem Halse und sprang ausgelassen um sein Opfer herum, so daß der weiße Arztmantel nur so wehte. Nicht anders verfuhr er mit einem Polenmädchen, das alle vier Wochen mit einer Fehlgeburt zu ihm kam und die er„zur Strafe”, wie er sagte, gleichfalls nicht betäubte, um sich an ihrem Schmerzgeschrei bei dem erforderlichen Eingriff höchst- lichst zu ergötzen. Die meisten Erkrankungen waren nach seiner Theorie rheumatischer Art, wenn sie auch nicht das geringste mit Rheumatismus zu tun hatten,
Er wandte in der Hauptsache drei Heilmittel an. Wer mit Ischias , Rheuma oder Hexenschuß zu ihm kam, wurde meist nicht krank geschrie- ben, sondern regelmäßig unbesehen wieder auf die Strecke geschickt, „da die frische Winterluft und körperliche Ausarbeitung die geeignetste Medizin für diese Leiden sei”. Ebenso behandelte er einen Lungen- kranken. Sein zweites Heilmittel waren„Gelonida"-Tabletten, Er ver- schrieb diese Pillen, die sonst hauptsächlich gegen Nervenschmerzen verwandt werden, auch bei Grippe, Lungenentzündung, Magenkrämpfen usw, usw., weil die Duinger Apotheke gerade dieses Heilmittel noch einigermaßen vorrätig hatte. Sein wirksamstes Heilmittel war aber„die Spritze”. Was er einspritzte, blieb sein sorgfältig gehütetes Geheimnis. Es mußte sich aber geradezu um eine Wunderspritze handeln, Denn sie wurde nicht nur bei Furunkulose oder Gelenk- und Muskelrheuma, son- dern auch bei Magen- und Darmverstimmungen, Lungenaffektionen, Grippe, kurz bei jeder nur möglichen Diagnose angewandt. Die Wirkung der Spritze war erstaunlich. Ein Schicksalsgenosse, dem sie verabreicht worden war, bekam nach zehn Tagen eine tolle Nesselsucht, ein anderer nach ebenderselben Frist einen solchen Herzkrampf, daß er nachts auf- stehen und vor die Baracke gehen mußte, um frische Luft zu schöpfen, wobei er in den unser Lager umgebenden Stacheldraht stürzte, so daß er sich in Gestalt seiner nicht unerheblichen Verwundungen eine neue Krankheit zugezogen hatte, der mit einer zweiten Auflage der Wunder- spritze zu Leibe gegangen werden konnte,
Da Paracelsus während seiner Ordination unablässig rauchte und so- wohl seine Spritze als auch die Verbandswatte mit Tabakhänden an- faßte, gehörte eine Sepsis nach seinen„Eingriffen” nicht zu den Selten- heiten, Ein Pole, der bei ihm eine allgemeine Blutvergiftung bekommen hatte, saß in seiner Sprechstunde wie ein lebender Leichnam,
Für ganz vornehme Kranke, und dabei handelte es sich regelmäßig um Simulanten, gab es schließlich noch eine Bestrahlung, die gleichfalls fort- laufend in dem Ordinationszimmer stattfand, in dem die Untersuchungen durchgeführt wurden, Wir konnten jedenfalls fast sicher sein, daß ein Simulant, der unserem Medizinmann in trauervoller Miene von Brust-
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