während bei den Nazis an Stelle der noch einmal wachgewordenen hoch- fliegenden Hoffnungen düstere Trauer trat.
28. Der Judenzug.
Diesen Namen trug der Kleinbahnzug, mit dem unsere Kameraden von der Coppengraver Kolonne allmorgendlich zur Arbeit fuhren, Es wurde allerdings behauptet, daß der Zug schon vor unserem Erscheinen in Duingen diesen Namen getragen habe, der infolgedessen„historische Be- deutung haben müsse”. Trotz aller Nachforschungen bin ich aber der an- geblichen Geschichte dieser Bezeichnung nicht auf die Spur gekommen. Es blieb unerfindlich, welches Vorkommnis vor unserer Zeit ausgerechnet dem Frühzug, mit dem unsere Schicksalsgenossen fuhren, diesen von einem Teil unserer Ahnen abgeleiteten Namen verschafft haben sollte. Ich habe die Duinger sehr stark in Verdacht, daß sie uns gegenüber ledig- lich nicht zugeben mochten, warum sie unserem„Arbeiterzug'' den be- sonders im Dritten Reiche so wohlklingenden Namen verliehen hatten. Ihre„Weltanschauung“ war nun einmal sehr stark nazistisch beeinflußt, nur hatten sie gegenüber uns als den Opfern von Hitlers Philosophie” gewisse Hemmungen, dies offen zuzugeben, Vielleicht lagen die Gründe für ihr widerspruchsvolles Verhalten aber noch tiefer. Dieselbe Zwiespäl- tigkeit trat in dem Benehmen der Duinger Schuljugend hervor, Dieselben Kinder, die uns morgens, wenn wir aus unserem Lager über das Bahn- geleise herüber zur Küche gingen, um den Kaffee zu holen, oft laut auf der Straße nachgerufen haben:„Die Juden sind unser Unglück!", konnten dann plötzlich im Chor singen:
„Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, auch diese Regierung und Hitlers Partei." oder noch launiger: „Maikäfer flieg, mein Vater ist im Krieg, den Opa ziehn sie auch noch ein, und das soll dann die Vergeltung sein!”
Auch die Duinger hatten, wie sehr viele Deutsche zu dieser Zeit, keine festgegründeten Überzeugungen mehr, sondern nur noch„Einstellungen”, die von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde oder gar von Augenblick zu Augenblick wechseln konnten. Einem Bahnbeamten, der sich gegenüber unseren mit dem„Judenzug” fahrenden Kameraden bisher stets sachlich benommen hatte, fiel es zum Beispiel plötzlich eines Tages ein, nicht mehr dulden zu wollen, daß unsere Schicksalsgenossen zwischen dem „Reisepublikum” saßen, Er scheuchte sie daher sämtlich in brüsker Form von den Bänken auf, und sie mußten von nun ab stehen.
Für die Weltanschauung der Duinger sind noch die folgenden beiden Vorfälle charakteristisch.
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