Vater Rehl, ist gleichfalls schon berichtet worden. Es war diesder alte Feuerwerker, der die Welt nicht mehr verstand".

Die Lebensgeschichten unserer übrigen Leidensgefährten der fraglichen Gattung wiesen keine Besonderheiten auf. Sie waren gewissermaßen typisch. Man konnte vor allen diesen Männern schon grundsätzlich nur die größte Hochachtung haben. Allen war es oftmals und mit nicht ge- ringen Drohungen nahegelegt worden,den von ihnen vor ihrer Belehrung durch den Nationalsozialismus unwissentlich begangenen Fehl wieder- gutzumachen und sich von ihren Ehegattinnen scheiden zu lassen, Alle hatten dies immer wieder standhaft abgelehnt und einer Trennung von ihren Lebensgefährtinnen schließlich sogar die Verbannung vorgezogen, die sie mit uns teilten. Sie waren der durchaus zutreffenden Auffassung, daß eine rein formelle Scheidung, wie sie ihnen von ihren Frauen wieder- holt vorgeschlagen worden war, diese schon längst ihres letzten Schutzes beraubt und dem furchtbaren Schicksal der Deportation ausgeliefert haben würde,

Einer dieser Männer, Kürzmann mit Namen, war durch die schweren Erlebnisse, die er alsnicht arisch Verheirateter gehabt hatte, derartig nervös geworden, daß er ständig als tragikomische Figur wirkte, Wenn irgend etwas in der Baracke nicht in Ordnung war, so hatte meistens er die Schuld, Er tauchte aus Versehen den Kaffeebecher statt des Schöpf- löffels in den Suppentopf, wenn ein Stück Geschirr entzweiging, hatte bestimmt er es fallen lassen, und wenn etwas verloren oder verlegt war, gehörte es bestimmt ihm. Er tat meistens den zweiten Schritt vor dem ersten und konnte andere mit seiner Fahrigkeit geradezu zur Verzweif- lung bringen, Er ist aber mit alledem stets bei seinen übrigen Schicksals- genossen auf große Duldsamkeit gestoßen, da man ja wußte, wodurch er so geworden war.

Bei uns Imis fiel zunächst in die Augen, daß unsere Kameraden, so- weit sie nicht älter als Mitte Dreißig waren, sämtlich Junggesellen ge- blieben waren. Es war dies eine Wirkung der Nürnberger Gesetze . Denn die in dem sogenanntenBlutschutzgesetz" vorgesehene Genehmigung von Eheschließungen zwischen Halbjuden und Ariern ist von Anfang an praktisch so gut wie niemals erteilt worden, Halbjuden, die, was nach dem genannten Gesetze ohne weiteres zulässig gewesen wäre, mit Halb- jüdinnen verheiratet waren, befanden sich nicht unter uns, und ich habe solche auch auf unserem ganzen Verbannungswege nirgends getroffen. Dieser Umstand bewies ebenso wie das tapfere Festhalten derjüdisch versippten Arier an ihren Frauen, daß es auch noch in Deutschland Grenzen für den nationalsozialistischen Terror gab, Die Liebe der Ge- schlechter hat auch Hitler nicht reglementieren können. Das Jung- gesellentum unserer Einspänner war auch nur Fassade, Ich habe nicht einen einzigen unter ihnen gefunden, der nicht eine Freundin hatte und Himmlers berüchtigten Zölibatserlaß im geheimen als ein verächtliches Stück Papier behandelte, das er ja tatsächlich auch war. Alle meine Kameraden, die in dieser Lage waren, hatten sich entschlossen, lieber gefährlich als gar nicht zu leben und, solange der einzelne dies für sich

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