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führung ja wissen müsse, warum sie hier so verfahre und daß schließlich schon alles seine Ordnung und Richtigkeit haben werde,
Ähnlich wie die Haltung der Bevölkerung im allgemeinen war auch die- jenige der Bahnbeamten, unserer unmittelbaren Vorgesetzten, im beson- deren. Zunächst waren sie alle, die ja sämtlich Kleinbürger waren, mehr oder weniger darüber betroffen, daß Männer, die doch augenscheinlich zu anderen Aufgaben berufen waren, unter ihrem Kommando die Arbeit von ungelernten und zu nichts anderem tauglichen Arbeitskräften tun mußten und das auch noch unter Umständen, die diese Arbeit als eine charakteristische Zwangsarbeit für Sträflinge erscheinen ließen. Aber wie das so zu gehen pflegt, hatten sie sich schon nach nicht allzu langer Zeit an den eigenartigen Sachverhalt gewöhnt, So weit, ihn innerlich be- rechtigt und moralisch zu finden, sind sie wohl fast alle nicht gekommen, aber das Gefühl für Recht und Sittlichkeit war damals im deutschen Volke derartig abgestumpft, daß es leicht durch das Bewußtsein:„Es ist nun einmal von oben so angeordnet” und durch dumpfe Gewöhnung er- setzt werden konnte, Derselbe Beamte, der es zunächst als absurd emp- fand, mir irgendwelche Befehle zu erteilen und der bei jedem Wort, das er mir sagen mußte, die Befangenheit in Person war, fand es schon nach zwei Wochen ganz selbstverständlich, daß ich eben ein Mann ‚seiner Rotte” war, und ich war von diesem Zeitpunkt ab für ihn, von einigen ausnahmsweisen Augenblicken abgesehen, nichts anderes mehr als das.
Der Argwohn, daß wir, wenn auch nicht jeder einzelne, so doch in der Gesamtheit irgendeinen Frevei begangen haben müßten, verschwand auch niemals ganz. Dafür sorgte schon die vom Propagandaministerium mit Ge- schicklichkeit ausgestreute Behauptung, daß wir zum mindesten mittel- bar mit dem sogenannten Führer-Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbin- dung gestanden hätten, Daß diese Verbindung eine mehr als mittelbare war, indem nämlich einer der an dem„mörderischen Anschlag” als Ge- hilfe Beteiligten in der Wohnung eines Berliner Halbjuden Unterschlupf gefunden haben sollte, kümmerte niemand. Das Propagandaministerium verstand, wie wir nun schon oftmals zu unserem eigenen Leidwesen hatten erfahren müssen, meisterhaft zu verleumden und um einzelne Menschen oder gar um ganze Menschengruppen wie die unsere, die ver- pestete Atmosphäre des„Es muß doch etwas daran sein” oder des, wie der Lateiner sagt:„semper aliquid haeret' zu verbreiten.
10. Unter uns.
unseren Landsleuten zwischen Deutschen der verschiedensten Art ge- wesen. In Duingen waren wir dagegen ganz unter uns und hatten dem- zufolge vielfältige Gelegenheit, einander wesentlich näherzutreten, als dies vorher möglich gewesen war.
Ganz homogen war unsere Schar ja immer noch nicht zusammen- gesetzt, da wir nicht alle Imis waren, sondern eine Anzahl jüdisch ver- heirateter Arier bei uns hatten, Diese sieben überwiegend älteren Männer
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