früher getan, auf meinen Schoß, und fragte ihn nach allerlei Dingen, die seinem Interesse angepaẞt waren. Aber er saß ein wenig steif und verschüchtert, sah mich scheu von der Seite an, antwortete nur leise und einsilbig auf meine vielen Fragen und hatte das Gebaren eines Kindes, das das erstemal auf dem Schoß eines fremden Onkels sitzt.
,, Kennst du denn deinen Paps nicht mehr?"
Er schüttelte langsam den Kopf, und ich bemerkte, daß er mit den Tränen kämpfte. Ein Gefühl von Wehmut beschlich mich. Aber gleich wallte die Empörung in mir auf. Das hatten sie fertiggebracht, die braunen Halunken, dem Vater das Kind zu entfremden!
Meine Frau fand verbindende und überbrückende Worte mit leichtem Scherz. Aber ich spürte, daß sie sich zwang dazu, und daß ähnliche Gefühle in ihr lebten wie in mir selbst. Ich erfuhr später von ihr, daß der Junge, nachdem er mich verlassen, einen wilden Ausbruch von Schmerz und Wut gehabt haben soll. O, die Verbrecher, was haben sie mit meinem armen Paps gemacht! Das ist ja ein ganz fremder Mann! Ach, tut mir der arme Paps leid!"
Meine Frau sah schlecht aus. Die Spuren der vielen durchlittenen Jahre hatten sich bereits in ihr liebes Gesicht gegraben. Auch das schmerzte. Liebe Menschen, welch Verbrechen man auch an ihnen beging!
Die Zigeuner
Im Frühjahr 1944 kamen einige Hundert Zigeuner aus Auschwitz nach Ravensbrück , um, wie ihnen in Auschwitz erklärt worden war, hier entlassen zu werden. Sie kamen aus Birkenau , wo die Massenvernichtungen von Auschwitz vor ihren Augen durchgeführt worden waren. Sie brachten ihre Frauen und Kinder mit in der Hoffnung, weiter mit ihnen zusammenleben zu können. Aber hier wurden sie getrennt. Auch die Kinder wurden nach Geschlechtern gesondert. Unser jüngster Zugang war von den 70 Kindern ein kleiner vierjähriger Zigeuner, der ebenfalls wie alle Auschwitzer Häftlinge seine tätowierte Nummer auf dem Arm trug.
Die Zigeunerzugänge waren der Rest von vielen Tausenden von Zigeunern, die nach Auschwitz gebracht worden waren, wo sie als Rasse ebenso wie die Juden ausgerottet werden sollten. Niemand von ihnen war wegen einer strafgesetzlichen Handlung bestraft worden. Im Gegenteil, die meisten waren mehrere Jahre im Krieg gewesen und hatten für Hitlers Größenwahn gekämpft. Sie waren lediglich als Angehörige der Zigeunerrasse verhaftet
worden.
27
Für das nazistische Herrenvolk" hatte die Zigeunerromantik, die noch im 20. Jahrhundert bis heute im südosteuropäischen Kulturkreis gern geduldet
138


