Vorwort

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Is im Frühjahr 1945 überall in Europa die Tore der Konzentrationslager durch die siegreichen Truppen der alliierten Nationen aufgestoßen wurden, boten sich den Befreiern Bilder einer furchtbaren Not, eines grauenvollen Elends, so furchtbar, daß ihnen das Herz und der Atem stockte. Leichenberge an Leichenberge türmten sich überall auf, Erschossene, Erschlagene und Ver­hungerte. Und überall krochen und lagen Hungernde und Menschen herum, die durch jahrelange Quälereien, Erniedrigungen und Miẞhandlungen auf eine Stufe herabgezwungen worden waren, auf der der Mensch als Mensch einfach nicht mehr existieren kann. In Buchenwald war das Entsetzen und die Empörung der Befreier über so viel Barbarei und Menschenschändung so groß, daß sie beschlossen, einen Teil der Weimarer Bevölkerung zu der Stätte des Grauens, die sich nur wenige Kilometer von der einstigen geistigen Metropole Weimar befand, zu kommandieren. Und sie kamen, junge Mädchen, Frauen und Männer, und die Hände, die sich sonst zur Schmach des Hitler - Grußes gehoben hatten, hoben sich nun als Schutz vor die Augen, die die Bilder des Grauens nicht sehen wollten, weil der Geist, der dem System der Verbrecher gedient hatte, nun vor ihm schauderte.

Heute kennen alle die grausige Wahrheit der harten Tatsachen und wissen, daß in den Konzentrationslagern Furchtbares geschah. Nachdem die ge­heimnisbergenden KZ- Mauern gefallen. sind, liegt die grausamste Finster­nis faschistischer Barbarei vor uns. Und jeder Deutsche, der noch einen Funken von Ehrgefühl und Scham hat, muß erkennen und beschämt fühlen, mit welch tiefer Verachtung alle gesitteten Menschen der Welt auf uns nieder­blicken müssen. Und wir müßten es als eine gerechte Strafe hinnehmen, wenn wir als grausame Barbaren behandelt würden, als Kulturnation gestrichen und uns alle Wege für eine bessere Zukunft verschlossen bleiben würden. Denn alle Deutschen haben um die Konzentrationslager gewußt und auch zumindest geahnt, welch mittelalterliche Methoden dort angewandt wurden. Dennoch hat das deutsche Volk diese entmenschte und blutige Barbarei jahrelang geduldet und zum großen Teil die Henker und Mörder durch ihre feige Willfährigkeit unterstützt. Niemand kann sich damit entschuldigen, daß er gegen den Terror nichts habe ausrichten können. Diese Ausrede ist zu billig, um ein ganzes Volk von der Schuld freizusprechen. Jeder einzelne hatte die Möglichkeit, wenigstens passive Resistenz zu üben, wenn nicht im großen, dann doch im

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