Mit dieser Erklärung schien auch er operiert zu haben. Denn wir haben zu unserem Glück nichts wieder darüber gehört.
Eines Tages wurde ich im Lager von der Mitteilung überrascht, daß ich von dem amtierenden Lagerältesten als sein Nachfolger bestimmt worden sei. Ich hatte im Lager keine eigentlichen Feinde, trotzdem habe ich alles getan, um jene Nachfolge zu verhindern. Schon in Buchenwald hatte ich mir, nachdem ich den inneren Betrieb des Lagers kennengelernt hatte, zur Richtschnur gemacht, niemals der Erste und niemals der Letzte zu sein. Maẞgebend war für meine Ablehung die Einstellung der SS - Lagerführung zu den Grünen. Der Versuch, aus Ravensbrück ein rotes Lager zu machen, wäre sowohl bei den Grünen wie auch bei der SS gescheitert. Und den Büttel für die SS zu machen, stand in schärfstem Widerspruch zu meinem ganzen Wesen und zu meiner moralischen Auffassung. Ich war deshalb froh, als noch eine andere Schwierigkeit zu meinen Gunsten auftrat: Julius gab mich nicht frei.
Meine politischen Freunde hätten natürlich lieber gesehen, wenn ich Lagerältester geworden wäre, aber ich habe auf dem Posten als Revierschreiber, den ich später hatte und der schon damals für mich vorgesehen war, für die Häftlinge mehr tun können als in der Stellung eines Lagerältesten.
Während des ganzen Sommers und Herbstes 1943 hatte das Lager unter dem neuen Lagerältesten Dürrnholz, einem Grünen aus Aachen , einigermaßen Ruhe. Daß das Lager einige Male die ganze Nacht bis zum nächsten Nachmittag wegen der Flucht von Häftlingen stehen mußte, empfanden wir gar nicht mehr als dramatischen Höhepunkt. Wenn ein Häftling geflüchtet war, mußten wir stehen, drei, vier oder zehn Stunden. Das wußten wir. Wir trugen das mit Humor und wünschten dem Geflüchteten, daß sein Wagnis Erfolg haben möge. Das ,, Stehen" sollte uns in Widerstand zu dem Geflüchteten bringen, aus dem heraus die Häftlinge selbst Rache üben sollten. Unsere Sympathien aber waren immer bei dem Geflüchteten.
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Der geeignete Mann für die SS
So kam der Winter 1943/44. Um Weihnachten bekamen wir einen neuen Lagerältesten. Es war ein Mensch, der mit Recht die Bezeichnung ,, Berufsverbrecher" trug.
Heinrich Heidt aus Offenbach hatte alle Register der kriminellen Vorstrafen hinter sich. Er war bestraft, mehrfach bestraft wegen Zuhälterei, Hochstapelei, Betrug, Unterschlagung usw. 25 Jahre hatte er zugebracht in Gefängnissen, Zuchthäusern und Arbeitshäusern. Heidt war groß und schlank, sein Gesicht markant, doch hatte er sonderbar verwaschene Augen. Er war rede- und schriftgewandt und wußte seine Fähigkeiten, solange er 132


