Ich ging zu Helmut Simolka, dem Küchen-Capo, der als politischer Häft- ling schon elf Jahre im Konzentrationslager saß. Ich hätte einige Beobach- tungen gemacht, wolle sie aber noch für mich behalten. Er solle mir jedoch frei und offen sagen, ob er, mit Leonhardt unter einer Decke stecke. Wenn ja, ließe ich die Finger von der Geschichte. Helmut Simolka sah mich so dumm und verständnislos an, daß ich gleich den Eindruck hatte, er wisse von nichts.
Ob in der Küche gestohlen würde, fragte ich weiter.
Freilich würde gestohlen, bestätigte er, dauernd würde gestohlen. Marga- rine, Wurst, Brot, Zucker, Marmelade. Aber man könne nicht herausbekom- _ men, wer der Dieb sei.
Ich wußte genug. Ich wußte nun, daß die Leonhardtschen Eßwaren aus Einbruchsdiebstählen in der Häftlingsküche stammten, daß also dieser natio- nalsozialistische Häftlingsmörder die hungrigen Häftlinge bestahl. Nun hielt ich es für meine Pflicht, die Bombe zum Platzen zu bringen.
Vorerst setzte ich mich, nachdem ich mit mir über das Wie und Wann im klaren war, mit’ einem völlig verschwiegenen und zuverlässigen politischen Freund in Verbindung und unterrichtete ihn über meine Pläne.
Es war mein Blockältester, Karl Gerber aus Nürtingen am Neckar . Er war Kommunist und: hatte als roter Blockältester einen außerordentlich schweren Stand.
Gerber warnte mich, den Plan zur Ausführung zu bringen. Ich würde unterließen. Leonhardt sitze zu fest im Sattel, er würde nicht nur von der SS, dem Lagerführer, sondern vom Kommandanten selbst geschützt und unterstützt. Die SS brauche solche Verbrecher wie Leonhardt. Ich würde ent- weder von der SS oder von Leonhardts Freunden und Kostgängern umge- bracht.
Es war alles nur zu wahr, womit mich Gerber zu überreden versuchte. Aber alle seine Bedenken hatte ich selber. Und alle Fragen hatte ich mir selbst schon beantwortet. Dennoch hielt ich an meinem Plan fest.
In den letzten Tagen war mir außerdem noch bekannt geworden, daß Leonhardt eine große Aktion gegen die politischen Häftlinge vorbereitete. Er hatte eine Denkschrift an den Kommandanten verfaßt, in der er den Nach- weis zu führen versuchte, daß bei den politischen Häftlingen eine Ver-
schwörung im Gange sei. Er belastete in seinem Schriftsatz eine Anzahl Ä
meiner politischen Freunde so schwer, daß ich außerordentlich beunruhigt war. Deshalb beschloß ich, nicht mehr zu warten.
Am nächsten Morgen, einem Sonnabend, überzeugte ich mich von dem Vorhandensein neuer Eßvorräte. Ich mußte nunmehr mit einwandfreien Zeugen arbeiten. Die SS haßte ich, und ich war auch jetzt nicht bereit, mich an sie zu wenden. Ich holte Helmut Simolka, zeigte ihm die Vorräte und bat ihn, nichts gegen Leonhardt zu unternehmen, bis wir am Nachmittag über die weitere Verfolgung der Angelegenheit gesprochen hätten.
108


