RETTEN Eee]
Häftlingen gestützt und torkelte am Ende seines Kommandos zur Arbeits- stätte, wo er sich niederlegte, um vom Tode erlöst zu werden.
“ Ravensbrück hatte keine Lagerstätte für die Sterbenden, hier gab es keinen stillen Winkel für die letzten Stunden der bereits vom Tode Gezeichneten, hier wurden selbst Sterbende, die sich schon in der Agonie befanden, mit brutalen Fußtritten beiseite geschoben, um draußen, vor dem Revier, den letzten Atemzug auszuhauchen.
Jeder Tag wiederholte die Bilder des Vortages. Und mit jedem Tage wuchs die Zahl der Schwachen, die zur Arbeitsstätte gestützt werden mußten. Zynische SS, die hinter den Kommandos marschierte, trat die Torkelnden vorwärts. Aber die spürten die Fußtritte kaum noch. Ihr Bewüßtsein war schon halb gestört.
Der Buchenwaldtransport war nach zwei Monaten durch den Tod vieler Häftlinge stark gelichtet worden. Alle hatte der Hunger geholt, und täglich forderte er neue Opfer.
Ich selbst hatte mich lange gehalten. Eines Tages aber zeigte die Gewichts- waage nur noch 88 Pfund anstatt 78 Kilo Normalgewicht. Nun ging es auch mit mir rapide abwärts. Wasser kam in die Füße, kroch höher und höher, zu den Knien, in die Oberschenkel. Schon wölbte sich mein Leib.
Ich sah es täglich, es ging mit mir zu Ende. Es gab keine Rettung. Augen- blicke kamen, wo ich schwankte und mir zu schwindeln begann. Ich raffte mich auf, riß alle Energie zusammen. Du willst hier nicht am Wege kre- pieren... Du willst nicht sterben... nicht hier... Du darfst nicht... Du willst doch deine Frau und deine Kinder noch einmal wiedersehen, willst noch schaffen und helfen am Bau einer besseren Zeit... Aber der Körper versagte, der Tod schlich hinter mir her.
Es war an einem Sonnabend im Mai 1942. Die Sonne brannte auf den heißen Sand der mecklenburgischen Ebene. Mutter Erde hatte ihr Hochzeits- kleid aus zartem, grünem Flor angelegt, darunter das knospende Leben pul- sierte. Und aus dem nahen Walde erklangen die Lockrufe einer erregten männlichen Vogelwelt.
Meine Füße schmerzten, und die mit Wasser gefüllten Beine wollten mich nicht mehr tragen. Ich hatte mich gerade niedergesetzt, als die Kameraden warnten:„Der Lagerälteste“.
Ich richtete mich wieder auf und ging an meinen Arbeitsplatz. Leonhardt suchte im Kommando herum und kam mit seinen ihm eigenen langen Schritten auf mich zu. Er hatte eines jener typischen Nazigesichter, im Gegen- satz zu den finsteren, brutalen: glatt, hell, arrogant und kalt, überheblich. Jedesmal, wenn ich ihn sah, dachte ich: Ohrfeigengesicht. Und es kribbelte mir in den Fingerspitzen.
Er trat auf mich zu und fragte nach meinem Beruf, wollte Näheres über meine Tätigkeit in Jena wissen und erklärte schließlich, ‚daß ich von morgen
ab Lagerschreiber sei.
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