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Als wir unter Begleitung von SS -Leuten durch das Lager nach der Bade. anstalt geführt wurden, waren meine Augen überall. Ich wollte jetzt schon viel in mich aufnehmen, um das Lager und das Leben darin kennen- zulernen.}
Häftlinge in blau-weiß gestreiften Drillichanzügen mit schlechter Fußbeklei- dung gingen an uns vorüber und nahmen ihre Mützen als Achtungsbezeugung vor ihren SS -Henkern ab. Auf der linken Brustseite trugen sie alle einen far- bigen Winkel und eine Nummer. Ich sah Häftlinge mit rotem Winkel, das waren politische, Häftlinge mit grünem Winkel, das waren BVer(Be- rufsverbrecher), Häftlinge mit‘schwarzem Winkel wurden als„asozial“ bezeichnet, Bibelforscher trugen einen lila Winkel und Homosexuelle einen rosaroten.
Wenn sie angesprochen wurden, standen sie in militärischer Haltung mit der Mütze in der Hand.
Ich war ganz erstaunt darüber, daß unser Zug mit den beiden blutenden Gefangenen nicht. das geringste Aufsehen bei den Lagerinsassen erregte. Es schien, daß solche Aufzüge zum Alltag‘des Lagerlebens gehörten.
Eine Judenkolonne, die sich mit über die Schulter gelegten Stricken vor einem mächtigen Wagen eingespannt hatte, kam uns entgegen. Als der neben der Kolonne herschreitende Vorarbeiter die uns führende SS erblickte, brüllte er und beschimpfte die Juden mit den unmöglichsten Ausdrücken. Dann hieb er mit einem derben Knüppel unbarmherzig und wahllos auf die ausgemer- gelten schwachen Körper ein, genau so, wie wir es eben erst in der politischen Abteilung durch SS erlebt hatten.
Ich war entsetzt und konnte das Ungeheuerliche nicht fassen.
Der Vorarbeiter, der selbst ein Häftling war, prügelte seine Mitgefangenen!? War das möglich!? Ließen sich die Gefangenen solche brutalen Mißhandlungen von Menschen gefallen, die ihr eigenes Los teilten.., die auch nur Gefangene waren...? Lehnte sich niemand dagegen auf? Zogen nicht alle Gefangenen an einem Strang? Gehörten sie nicht alle zusammen in die Abwehr gegen die SS -Henker? Mußten sie nicht alle solidarisch zusammenstehen wie eine-eiserne Mauer, einen geschlossenen Block bilden? Gab es selbst hier keine Kamerad- schaft, keine Gemeinschaft-
Die Schläge und Fußtritte, die ich in der politischen Abteilung erhalten hatte und deren Spuren ich‚an meinem Körper herumtrug, sie hatten ge- schmerzt, und als ich sie empfing, hatte ich die Zähne fest zusammengepreßt, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien. Ich hatte diese Schläge und Tritte als Schmach und Demütigung empfunden, als menschenunwürdig, nicht als Strafe, sondern als einen Willkürakt sadistisch veranlagter Bestien an hilf- und schutzlos völlig ihnen ausgelieferten Opfern. Gewiß war ich voller Wut und Haß gegen. die entmenschten Henker, die meine Menschenwürde zertreten wollten und ihre Macht über mich zynisch und höhnisch zur Schau trugen, aber all das hatte mich innerlich nicht so aufwühlen und erschüttern
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