Dort wehte ein anderer Wind. Dort war eine Anzahl Nazis als Auf- seher eingestellt worden, die sich als Vertreter einer„neuen Zeitepoche“ fühlten. Dennoch gelang es meiner Frau bei ihren Besuchen, mir jedesmal ein Päckchen Tabak zuzuschmuggeln.
Nach etwa vier Monaten Untersuchungshaft fand die erste Hauptverhand- lung statt. Sie wurde vertagt, weil die Denunziantin als unglaubwürdig erschien.
Die zweite Verhandlung fand nach 6 Wochen statt. Auch diese wurde vertagt.
Die Denunziantin hatte inzwischen neues Anklagematerial herbeigeschafft, ‘das ausreichte, gegen mich ein Hochverratsverfahren durchzuführen. Beante - des Sondergerichts in Weimar , die mir ihre Solidarität bekundeten, hatten mich über die Verschlechterung der Prozeßlage informiert.
Endlich, nach weiteren vier Monaten Ungewißheit, kam der Tag der dritten Hauptverhandlung.
Justizrat Lotze, der meine Verteidigung freiwillig ohne Aussicht auf Be- zahlung selbst angeboten und übernommen hatte, war der Auffassung, daß ich freigesprochen werden müßte.
Die Zuhörerbänke waren voll besetzt. Ich entdeckte manche bekannten Ge- sichter, und über allen das Gesicht meiner Frau, dessen Blick Trost und Mut gab und ständig voll Liebe auf mich gerichtet war.
Aus der Prozeßverhandlung ist mir noch erinnerlich, daß sowohl die Denunziantin wie noch zwei weitere Kronzeugen des Staatsanwaltes Meineide geleistet hatten.
Nachdem der Oberstaatsanwalt sein Plädoyer beendet und ein Jahr Ge- fängnis beantragt hatte, kam auch ich nach einem Freisprechungsantrag meines Verteidigers noch einmal zu Wort.
Ich hatte bereits vierzig Minuten gesprochen, als plötzlich der Oberstaats- anwalt aufsprang und den Vorsitzenden aufforderte, mir das Wort zu ent- ziehen, weil ich„eine förmliche Wahlrede“ halte.
Der Vorsitzende jedoch respektierte die oberstaatsanwaltliche Aufforde- rung in keiner Weise. Er saß mit gekreuzten Armen auf seinem großen Stuhl, würdigte den Erresten keines Blickes und wandte sich freundlich lächelnd an mich mit den Worten:„Fahren Sie fort.“
Die Situation war durch dieses kleine Zwischenspiel klar. Die Sympathien des Gerichts waren auf meiner Seite. Dennoch durfte ich nicht mit einer Freisprechung rechnen und wollte diese auch nicht mehr erreichen. Denn inzwischen hatte ich erfahren, daß ein Freispruch Konzentrationslager‘ Buchenwald für mich bedeutet hätte.
Der Spruch des Gerichts lautete auf ein halbes Jahr Gefängnisstrafe, die durch die zehnmonatige Untersuchungshaft als verbüßt galt, und Auf-
hebung des Haftbefehls. 39


