Ich habe heute einen Gang in das einstige Ghetto gemacht. Es war ein schmerzliches Erlebnis. Von den Häusern, in denen etwa fünftausend Juden zusammen- gepreßt leben mußten, konnte ich nur einige wieder- finden. Alle anderen waren Trümmerhaufen. Ich brauchte Mühe, um die Reste der beiden Hütten zu finden, in denen wir einst gehaust hatten. Und von den Juden, die hier lebten und litten, war keiner mehr zu sehen. In der Straße, die jetzt die„Straße des 9. Ja- nuar“ heißt, ging ich über das Pflaster, das ich oft ge- kehrt hatte, und sah noch die Steinblöcke von den Grab- steinen des von Kindern zerstörten jüdischen Friedhofs im Wege liegen. Die hebräischen Inschriften der ge- schändeten Grabplatten waren unter dem Schmutz der Straße noch immer zu lesen.
In einem Kinderheim wurde mir heute ein Kind ge- zeigt, das auf wunderbare Weise vor dem Tode gerettet wurde. Während der letzten Vernichtungsaktion gegen die Juden brachte eine Bäuerin aus der Umgebung den Mördern ein etwa drei Jahre altes, jüdisches Kind, das ihr übergeben war, um es vor den Häschern zu ver- stecken. Die Frau gab das Kind der SS mit den Worten, sie wolle es nicht behalten. Die SS -Männer setzten das Kind vor die niedergebrannte Synagoge, und einer. legte auf das kleine Geschöpf an, das keine Ahnung hatte, was mit ihm geschehen sollte, und ruhig sitzen blieb. Der Schuß krachte, aber die aus geringer Entfernung abgegebene Kugel ging fehl. Das Kind lachte zu seinem
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