Im Hause wohnte Jacob Oehl, und im Hause wohnten Herr und Frau Kornberg. Nach Mitternacht wurde die Haustüre aufgestoßen, und schwere, eisenbeschlagene Stiefel hallten im Flur. Jedermann hielt sich bang in seinem Zimmer. Schließlich riefen mehrere Männer- stimmen den Namen:„Jacob Oehl“! Dann wurden auch Kornberg und Frau Kornberg aufgerufen. Wir wissen jetzt, wie die Stimme klingen wird, die zum ewigen Gericht ruft. Bleich und mit klopfendem Herzen harrte jeder auf den nächsten Laut. Jeder fragte sich: wird auch dein Name ertönen, wird auch dir die Stunde schlagen? Aber es blieb in unserem Haus für dieses Mal bei den drei Namen. Die Unglücklichen, alte Leute, wurden abgeführt. Sie gingen stumm und ohne zu kla- gen. In anderen Häusern gab es bei ähnlichen Vorgängen herzzerreißende Abschiedsszenen, wenn Familienmit- glieder voneinander getrennt wurden. Der alte Kazu sagte zu seiner Frau, als er sich mit ihr dem Zug zum Tode anschließen mußte:„Komm, komm, Weiberl, wir machen Hochzeitsreise.“ In der ganzen Straße war ein großes Jammern.
Früh um einhalbacht Uhr kam Halpern zu uns zu- rück. Er war vollkommen verstört und erlitt einen Wein- krampf, als er von den furchtbaren Stunden dieser Nacht berichtete, wie er sie auf dem Judenrat erlebt hatte. Das SS-Kommando hatte die Lieferung von fünfhundert- dreißig Juden verlangt. Die Zahl war nach den Ein- wohnern berechnet worden und mußte genau stimmen. Die SS sah auf prompte und genaue Lieferung! Wenn eines der vorgesehenen Opfer nicht angetroffen wurde, mußte ein anderer Jude als Ersatz gestellt werden. Im Judenrat hatte Grünfeld eine Namensliste auf der
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