Die Zeugenvernehmung

Der sowjetische Militärgerichtshof hatte für die Beweis­aufnahme 26 Zeugen geladen. Bereits nach der Vernehmung von 17 Zeugen, sowjetischer, polnischer, tschechoslowaki­scher und deutscher Staatsbürger, ehemaliger Häftlinge des KZ- Lagers Sachsenhausen, konnte der Gerichtshof den Sachverhalt als völlig aufgeklärt erachten und in Überein­stimmung mit dem Staatsanwalt und den Verteidigern von weiteren Zeugenvernehmungen Abstand nehmen.

Ehemalige Häftlinge des Lagers, ehemals gepeinigte und gefolterte, bis aufs Blut gepeitschte und bis zur Erschöp­fung gehetzte Angehörige verschiedener Nationen, waren als Zeugen wider die angeklagten Mordbestien aufgestan­den. Ihre schlichten, ungeschminkten Erzählungen über das große Grauen von Sachsenhausen, ihre herzzerreißende Schilderung der erduldeten körperlichen und seelischen Qualen und ihre präzisen Angaben über die einzelnen Bestialitäten der verschiedenen Angeklagten brachten die letzte Klarheit über Sachsenhausen.

Es leuchtet ein: so geständnisfreudig sich die Angeklagten zumeist auch gezeigt haben mochten und so ungeheuerlich ihre Aussagen wirkten, alles haben sie bei weitem nicht ge­sagt; irgendwie versuchte jeder, einen dunklen Schleier um das KZ- Grauen zu hüllen. Und sie hätten auch bei bestem Willen nicht alle Nuancen, wie sie im grellen Licht der alles enthüllenden Zeugenaussagen zutage traten, herausarbeiten können, weil ihnen das Gefühl für diese Nuancen fehlte.

Sie übergingen zum Beispiel die gemeinen Menschen­erniedrigungen, die in Sachsenhausen an der Tagesordnung waren, mit Schweigen, weil sie wahrscheinlich gar nicht empfanden, was derart maßlose Entwürdigungen einem

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