1. Kapitel
Der 30. Juni 1934.
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Zum ersten Male in meinem Leben sah ich die ausgedehnten Gefängnisgebäude von München- Stadelheim am 30. Juni 1934. Ich war ab 1. Juli zum evangelischen Pfarrer von Giesing und der Gartenstadt Harlaching ernannt worden und durchfuhr mit meinem Vorgänger im Auto den weiträumigen Pfarrbezirk. Auch der Stadtteil Stadelheim gehört dazu und deshalb die nebenamtliche Seelsorge an den evangelischen Gefängnisinsassen. Ich ahnte damals keineswegs, was das in Zukunft für mich zu bedeuten hatte, denn bis dahin beherbergten die Gefängnismauern nur Häftlinge, die geringe Strafen von einer Woche bis zur Höchstgrenze von drei Monaten zu verbüßen hatten. Als unser Kraftwagen am Gefängnistor vorbeikam, erblickten wir zu unserer Überraschung einen SS- Doppelposten davorstehen und auch an den vier Ecken des Gefängniskomplexes waren SS - Männer mit scharfgeladenen Gewehren aufgestellt alles mitten im Frieden, auch für meinen Vorgänger verwunderlich. Plötzlich hörten wir aus dem Gefängnishof mehrere Gewehrsalven krachen. Sie galten den Anhängern Röhm's, die am 30. Juni 1934 ohne Urteil und Gericht, auch ohne daß man ihnen einen seelsorgerlichen Zuspruch gewährt hatte, nacheinander niedergeschossen wurden. Daß sich darunter auch versehentlich ein völlig Unbeteiligter befand, der zufällig auch den Namen Schmid trug und in der Hast mit einem seiner Namensvettern verwechselt worden war, erkannte man erst, als es zu spät war! Man hatte einfach dem Gefängnisdirektor einen Zettel mit vielen Namen überreicht und erklärt, die mit Bleistift
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Aufsätze des damals ermordeten Willi Schmid über Musik erschienen 1937 bei Otto Müller , Leipzig , unter dem Titel ,, Unvollendete Symphonien".
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