wohl ich weiß, wie zermürbend und niederdrückend es auf die Dauer wirkt; ich bin nicht mehr Herr über meinen Willen, und dabei sind Hella und Peter erst seit fünf Tagen fort.

Freiburg , den 28. Februar 1944

Noch immer warte ich vergebens auf die ersehnte Nach­

richt. Ich schäme mich vor mir selber und den Menschen, die mit mir zusammen leben, wie nervös und überreizt ich bin. Dabei weiß ich, daß augenblicklich gar keine Möglich­keit der Flucht besteht, weil unerwartet nach einem sehr milden Januar und der ersten Hälfte des Februars heftige Schneefälle eingesetzt haben. Hella sagte mir, daß bei Schnee, der alle Spuren verraten würde, keine Grenzüber­schreitungen stattfinden können. Also warte ich jetzt dar­auf, daß der Schnee verschwindet.

Wir erfuhren schon vor einer Woche von einer Auffüh­rung der Matthäus- Passion im Münster durch die Studen­tenschaft, gleichzeitig aber auch, daß keine Karten mehr zu haben seien. Ich war sehr traurig darüber, gar zu gern hätte ich dies Werk wieder einmal gehört! Durch einen glücklichen Zufall erhielt ich schließlich doch eine Karte, und so kam es, daß ich gestern dieses Oratorium im Münster hörte.

Die Freiburger Studenten führten das Werk zum Ge­dächtnis ihrer im Kriege gefallenen Kameraden auf. Der Dirigent war ein Student, der nach einer Kriegsverwun­dung in ambulanter Behandlung war. Er hatte das Ganze mit dem Chor und dem Orchester einstudiert, die nur aus Studenten und Studentinnen bestanden. Lediglich die So­listen waren Berufssänger, und es war gelungen, erste Kräfte dafür zu gewinnen. Die Aufführung war etwas ganz Besonderes, und wer gefürchtet hatte, eine dilettantenhafte

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