ich nur aus ihren Schilderungen, aber nicht aus eigenem Augenschein kannte. Als dann die Dämmerung heraufkam, schloß ich die Augen und versuchte zu schlafen. Seit meinen täglichen: Fahrten zwischen München und dem Isar - tal war es mir leicht gewesen, mich durch das Geratter des fahrenden Zuges in Schlaf wiegen zu lassen, und siehe da, was mir in den ganzen langen Monaten meines illegalen . Lebens am schwersten geworden war, tief und ruhig zu schlafen, hier gelang es. Erst kurz vor Weimar erwachte ich, völlig frisch und neu gestärkt.
Eva erwartete mich am Bahnhofsausgang. Wir hatten eine Weile durch die dunkle Stadt zu wandern, bis wir zu ihrer, in einer ruhigen Straße am Rande der Stadt gelegenen Wohnung kamen. Sie war im Dachgeschoß eines ein- stöckigen Hauses und enthielt Wohn- und Schlafzimmer, Kammer und Küche. Ich fühlte mich gleich heimisch. Aber Eva ließ mir nicht lange Zeit, mich umzusehen. Sie wollte wissen, wie alles gegangen war, warum ich meinen Reise- termin vorverlegt hätte, ob ich einen Auswies besäße und was für einen! Ich mußte bis in jede Einzelheit alles be- richten, sie hörte mit atemloser Spannung zu. Der Post- ausweis fand ihre volle Billigung, über das Erlebnis bei meinem letzten Besuch der ‚Familie‘ schüttelte sie den Kopf.„Wenn du es nicht wärest, die das schilderte, würde ich meinen, ich lauschte einem gut erdachten Kriminal- roman“, sagte sie, als ich geendigt hatte.„Mein Bedarf an Kriminalromanen, die ich selber erfahre, ist reichlich ge- deckt“, erwiderte ich ihr lächelnd.„Es erzählt sich ganz nett, aber was man dabei aussteht, ist unmöglich auszu- drücken.“„Das glaube ich dir gern“, antwortete Eva ernst, „hoffentlich beginnt nun eine weniger aufregende Zeit für dich. Die Tage bei mir wollen wir in aller Ruhe genießen. Wie lange kannst du bleiben?“„Ich habe mich durch Lene für Freitag früh, also den 28., in Freiburg anmelden lassen, muß also Donnerstag abend nicht zu spät von hier fort.“ Wir saßen noch lange plaudernd beisammen.—
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