gangenen Jahre die Aufnahmefähigkeit für Schönes und Holdes in der Natur und bei den Menschen in mir ver- schärft und erhöht hätten. Und hier, wo mich außer meinen Gastgebern niemand von früher her kennt, kann ich auch wieder Spaziergänge und Ausflüge unternehmen, ohne wie in Berlin ständig fürchten zu müssen, erkannt und ausge- liefert zu werden. Aber ich greife vor und will doch lieber der Reihe nach erzählen:
Als ich eine halbe Stunde vor der Abfahrt meines Zuges nach Weimar auf den Anhalter Bahnhof kam, winkte mir Eva Merkel schon von weitem aus einem Abteilfenster zu; sie hatte einen Fensterplatz für mich besetzt. Sie übergab mir eine Fahrkarte nach Erfurt (wir hatten gefunden, es sei besser, einen neutralen Ort als Ziel zu wählen). Ich mußte auch von Weimar nach Erfurt fahren, um dort den Anschluß an den Zug nach Freiburg zu erreichen. In Erfurt konnte ich dann ein Billett nach Freiburg lösen. Ich nahm nur einen kleinen Handkoffer mit, den Eva über meinem Platz verstaut hatte, der Rest meines ohnehin nicht großen Gepäcks würde in einigen Tagen von Peter nachgesandt werden. Auch Lene Merkel kam noch auf den Bahnsteig, um sich von mir zu verabschieden. Sie hatte noch einmal Onkel Karl angerufen, der ihr gesagt hatte, es sei alles in Ordnung, er ließe mich herzlich grüßen und mir gute Reise wünschen, ich solle bald von: mir hören lassen.— Wir - wollten uns den Abschied nicht schwer machen, doch gelang es mir nicht ganz, meine Rührung zu unterdrücken, die Aufregungen der letzten Zeit waren nicht spurlos an mir vorübergegangen.—
Aber als der Zug in Bewegung war, gab ich mir einen Ruck: ich reiste noch immer leidenschaftlich gern, und die im freundlichen Abendsonnenschein vorüberfliegenden Felder und Wälder im Frühlingskleid machten es leicht, die trüben Gedanken wegzuschieben und mich der nächsten Zukunft zuzuwenden. Ich freute mich auf das Zusammensein mit meiner Freundin Eva in Weimar, deren kleine Wohnung


