Seit vorgestern bin ich bei Merkels. Lene hatte mir sagen lassen, sie komme am 22. morgens zurück und möchte, daß ich am gleichen Tag gegen Abend zu ihnen ziehen solle.- Der Abschied von der ,, Familie" und von Onkel Karl ist mir nicht leicht geworden; solche Umstände wie die, unter denen wir leben, binden in kurzer Zeit fester, als es sonst in Jahren der Fall wäre. Aber es ist bestimmt eine Verminderung der Gefahr für die drei Zurückbleibenden, und Onkel Karl kann wieder sein Schlafzimmer beziehen. Selbstverständlich werde ich sie von Zeit zu Zeit besuchen.-
Das Wiedersehen mit unserer alten Freundin Lene weckte bei aller Freude viele schmerzliche Erinnerungen in uns beiden, wir konnten die Tränen nicht zurückhalten. Sie schüttelte den Kopf über mein Aussehen. ,, Du siehst aus wie eine unterernährte, alte Frau." Ich wehrte ab. ,, Es geht mir jetzt sehr gut; du hast mich nicht gesehen, als es mir wirklich schlecht gegangen ist. Bei Onkel Karl habe ich mich schon erholt!"
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Alle sind rührend freundlich zu mir, sie lassen mich merken, daß sie sich über meine Anwesenheit freuen. Ich kann Lene manche Arbeit abnehmen, und sie ist dankbar dafür.
Gestern abend, als die ganze Familie beisammen saß, sprachen wir über meine Pläne. Wir waren uns einig, daß ich erst wie es mein Wunsch ist, und wie es hier auch
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alle billigen-Berlin verlassen und nach Freiburg gehen
könne, wenn ich einen hieb- und stichfesten Ausweis besitze. Wieder ging die ominöse Kennkarte von Hand zu Hand, wieder mußten alle feststellen, daß sie völlig unmöglich ist. Lene meinte schließlich: ,, Wenn wir gar nichts Besseres finden, mußt du einen Betriebsausweis mit Lichtbild bekommen, dazu einen von der gleichen Firma ausgestellten Urlaubsausweis, doch gehört als drittes notwendiges Requisit unbedingt noch eine Kleiderkarte dazu.
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