-

Berlin , den 18. Februar 1943

-

-

Wir sind immer noch zu fünft! Täglich verstärkt sich der Eindruck, daß wir uns auf einem Vulkan bewegen, der uns jeden Augenblick mit seinem Ausbruch bedrohen kann. Susi wird uns in einigen Tagen verlassen, sie hat eine neue Unterkunft gefunden. Wir haben auch mit Nahrungssorgen zu kämpfen. Ganz im Anfang hatten sowohl Herbert und Evchen wie auch Lotte noch ihre allerdings jüdischen Le­bensmittelkarten und konnten daraufhin, wenn auch nicht ohne Gefahr, die wichtigsten Lebensmittel, wie Brot, Fett, Nährmittel und Zucker abholen. Wir waren alle überein­gekommen, daß wir zu fünft ohne Onkel Karls regelmäßige Hilfe, was unsere Verpflegung anlangt, auskommen müßten. Susi hatte einen guten Bekannten ich weiß nicht mehr, woher sie ihn eigentlich kennt, aber das ist auch gleich­gültig-, der in einem großen Obst- und Gemüsegeschäft bei der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz angestellt ist. Walter wir kennen ihn nur unter seinem Vornamen suchte Susi gleich am ersten Tage hier bei uns auf und brachte ihr eine große Tasche voll Gemüse und-o Wun­der sogar etliche Zitronen und Orangen mit. Wir haben uns längere Zeit unterhalten, Walter gefällt mir gut. Er ist ein Mann in den besten Jahren, Kommunist, der für diese seine politische Ueberzeugung vier Jahre Konzentra­tionslager abgesessen und überstanden hat. Er ist verhei­ratet und hat einen zwölfjährigen Jungen, an dem er sehr hängt. Zu Beginn des Krieges fand er Arbeit in dem Ge­müseladen, in dem er jetzt, nachdem der Besitzer einge­zogen ist, als einziger Mann eine Vertrauensstellung ein­nimmt, die er sicher verdient. Er erklärte sofort, als ihm meine und Susis Lage klar wurde, daß er für genügend Kartoffeln, Gemüse und gelegentlich auch Obst sorgen, daß er aber auch öfter einmal Fisch oder Fleisch liefern würde, welches er auf dem Tauschwege gegen Obst und Gemüse erwerben könne. Ich fragte vorsichtig, ob er nicht

-

16 Behrend, Ich stand nicht allein

241