geschlossen. Doch ich will mich nicht in diese Gedanken und Empfindungen verlieren, in der Krise, in der ich mich be­finde, könnte das gefährlich werden.

Ich weiß nicht, was mit mir ist. Wie schwere, schwarze Flügel schlagen Zweifel und Schwermut über mir zusam­men. So lange ich vor übermäßiger Arbeit nicht zum Grü­beln kam, ging es mir fast besser als hier in der Stille und Enge des kleinen Hauses. Gustav ist den ganzen Tag fort und kommt erst spät abends von der Fabrik nach Hause, auch Erna ist viel fort, denn das Einkaufen erfordert heut­zutage sehr viel Zeit. Ich helfe ihr im Haus, so gut ich kann, aber ich spüre, daß ich vieles nicht recht mache, und das macht mich unsicher und vermehrt meine Unge­schicklichkeit noch. Das Elend und die Not jüdischer Men­schen, die ich bis zum Ersticken mitgetragen hatte, bis ich selbst fast darunter erlag, ist mir hierher gefolgt. Immer berichtet Erna von Deportationen näherer und entfernterer Bekannter.

Doch hätte ich all die schlimmen Nachrichten vielleicht besser überwunden, wenn ich nicht täglich und stündlich fühlen müßte, daß mein Hiersein für Gustav und Erna eine fast unerträglich gewordene Belastung bedeutet. Zwar kommen kaum Menschen zu ihnen; wenn irgendwo, so habe ich hier das Gefühl der verhältnismäßigen Ungefähr­lichkeit. Aber mein Gefühl ist nicht maßgebend, sie haben einfach die Nerven nicht mehr, um mich zu ertragen. Aber wo soll ich hin? Gustav hat versucht, und zuerst nicht ohne Hoffnung auf Erfolg, mir den Weg in die Schweiz zu öffnen, aber der Mittelsmann, mit dem er verhandelt hat, ist ver­schwunden, man weiß nicht, ob ihm nur der Boden unter den Füßen zu heiß geworden ist, oder ob er gefaßt wurde. Wir waren uns darüber klar geworden, daß ich irgendein Ausweispapier haben müßte, und es war Erna geglückt, eine Kennkarte, den polizeilichen Personalausweis, für mich zu bekommen. Sie gehörte einer arischen Frau, die Geld brauchte und einen alten Paß besaß, der als Ausweis für

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